Informelles

Für den interessierten Besucher hier eine feuilletonistische kleine Einführung in die gedanklichen Hintergründe eines entwicklungstherapeutischen Psychotherapieverständnisses.

Die Grundidee zu einer Entwicklungstherapie hatte vielleicht schon Friedrich Nietzsche.
Zu dieser Auffassung jedenfalls kommt der Autor, dem das Folgende (so wir ihm glauben schenken) zugestoßen ist: 

Ich war Beobachter einer Diskussion, in dessen Mittelpunkt sich ein Psychotherapeut und ein offensichtlich hilfesuchender Mann gegenüber standen. Der Psychotherapeut war umringt von Kollegen, bei denen er ein besonderes Ansehen zu haben schien. Und hinter dem Kranken, in einigen Metern Abstand, sah ich eine Schar von interessierten Anderen, offensichtlich ebenfalls Hilfesuchende, die von weitem vorsichtig aber ebenso neugierig an dieser Begegnung teilnahmen. Der Psychotherapeut und sein Gegenüber sprachen dabei ein wenig übertrieben in Metaphern, also in manchmal etwas blumigen Umschreibungen, aber ansonsten, entspann sich ein hochinteressantes Gespräch über den Sinn und Unsinn einer Psychotherapie. Als ich dann aber plötzlich aufwachte, hatte ich einen Originaltext von F. Nietzsche aus dem Zarathustra in der Hand und war wohl bei der Lektüre kurz eingeschlafen ;-).

– In der Einschlafphase hatte ich offenbar ein paar Weglassungen und ein paar winzige Einfügungen vorgenommen und die Hauptfigur (Zarathustra) durch den Psychotherapeuten sowie den „Bucklichten“ des Originaltextes durch einen Kranken ersetzt. Und was „las“ ich? Ich las, wie der Kranke auf den Psychotherapeuten zuging und sagte:

„Siehe nur, mein lieber Psychotherapeut: Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deiner Lehre: aber dass es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines – du musst erst noch uns Kranke überreden! Hier hast du nun eine schöne Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als Einem Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und dem, der zu viel hinter sich hat, könntest du wohl auch ein Wenig abnehmen: – das, meine ich, wäre die rechte Art, die Krüppel an die Psychologie und die Psychotherapie glauben zu machen!“

Und mit einem tiefen Seufzer – zugleich aber auch etwas verschmitzt in die Runde der anwesenden Kollegen schauend – hob der solcherart Angesprochene an, zu antworten:
Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe: „Diesem fehlt ein Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und andre gibt es, die verloren die Zunge oder die Nase oder den Kopf.“ Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht von Jeglichem reden und von Einigem nicht einmal schweigen möchte: nämlich Menschen, denen es an Allem fehlt, außer dass sie Eins zuviel haben – Menschen, welche Nichts weiter sind als ein großes Auge, oder ein großes Maul oder ein großer Bauch oder irgendetwas Großes, – umgekehrte Krüppel heiße ich Solche. Und manchmal da traute ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte endlich: „das ist ein Ohr! Ein Ohr, so groß wie ein Mensch!“ Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre bewegte sich noch Etwas, das zum Erbarmen klein und ärmlich und schmächtig war. Und wahrhaftig, das ungeheure Ohr saß auf einem kleinen dünnen Stiele, – der Stiel aber war ein Mensch! Wer ein Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen erkennen; auch, dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir aber, das große Ohr sei nicht nur ein Mensch, sondern ein großer Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte dem Volke niemals, wenn es von großen Menschen  redete – und behielt meinen Glauben bei, dass es ein umgekehrter Krüppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe.“

Und sich jetzt mehr an seine Kollegen richtend:
wie ertrüge ich es, Therapeut zu sein, wenn der Therapeut nicht auch Dichter und Rätselrater und der Erlöser des Zufalls wäre! Denn das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentrage was Bruchstück ist und Rätsel und grauser Zufall. Das Vergangene zu erlösen und alles „Es war“ umzuschaffen in ein „So wollte ich es!“ – das hieße mir erst Erlösung! „Es war“: so heißt des Willens Zähneknirschen und einsamste Trübsal. Ohnmächtig gegen Das, was getan ist – ist er allem Vergangenen ein Böser Zuschauer. Nicht zurück kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der Zeit Begierde, – das ist des Willens einsamste Trübsal.

Dass die Zeit nicht zurückläuft, das ist sein Ingrimm; „Das, was war“ – so heißt der Stein, den er nicht wälzen kann. Und so wälzt er Steine aus Ingrimm und Unmut und übt Rache an dem, was nicht gleich ihm Grimm und Unmut fühlt. Also wurde der Wille, eigentlich doch ein Befreier, ein Wehetäter: Und an Allem, was leiden kann, nimmt er Rache dafür, dass er nicht zurück kann. Dies, ja dies allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr „Es war.“

Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes Nachdenken; und wo Leid war, da sollten wir auch immer Strafe finden.
„Strafe“ nämlich, so heißt sich die Rache selber: mit einem Lügenwort heuchelt sie sich ein gutes Gewissen. „Keine Tat kann vernichtet werden: wie könnte sie durch die Strafe ungetan werden! Es sei denn, dass – und jetzt hebt er ironisch an – der Wille endlich sich selber erlöste und Wollen zu Nicht-Wollen würde -„: doch ihr kennt, meine Brüder, dies Fabellied des Wahnsinns! 

Alles „Es war“ ist ein Bruchstück, ein Rätsel, ein grauser Zufall – bis der SCHAFFENDE Wille dazu sagt: aber so wollte ich es!“ Bis der schaffende Wille dazu sagt: „Aber so will ich es!
So werde ich’s wollen!“ Aber sprach er schon so? Wurde der Wille sich selber schon Erlöser, Erlöser und Freudebringer und nicht ein Erlöser wie oben ironisch gemeint? Verlernte er den Geist der Rache und alles Zähneknirschen? 

Aber nach einer kleinen Weile lachte der Psychotherapeut schon wieder und sagte begütigt: „Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich für einen Geschwätzigen.“ –