Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

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Bühnenraum-überschreitende Inszenierung

Beim genaueren Betrachten von Therapieverläufen mit Abbrüchen, stellte sich mir die Frage, ob nicht unter bestimmten Umständen das Verlassen der „Therapie-Bühne“ doch noch als eine Art „Aufführung“ angesehen werden kann, als eine Art „Bühnenraum-überschreitende Inszenierung“ vielleicht, so wie wir es vom modernen Theater her kennen. Da kommt es ja auch vor, dass das Geschehen plötzlich den Bühnenraum verlässt und in den Zuschauerraum hinüber wechselt, ohne das Stück damit zu Ende zu bringen. Eine gewisse Rahmung des Ganzen hält das Geschehen im Falle des modernen Theaters immer noch als Aufführung zusammen, die Zuschauer laufen nicht einfach auseinander. Etwas Ähnliches sollte auch in der analog hierzu erweiterten Therapiebühne geleistet werden können. Hierzu müsste man aber genau hinschauen und versuchen, zu verstehen, was in einer solchen „Bühnenraum-überschreitenden Inszenierung“ geschieht.
Ich gehe also davon aus, dass der Therapieabbruch in seiner konkreten Gestalt noch mit in das Therapiegeschehen selbst hineingehört. Bei einer richtigen Rahmung – wie im Beispiel des modernen Theaters – kann er als eine besondere Inszenierung für den Erfolg der Therapie fruchtbar gemacht werden. Diesem Grenzphänomen möchte ich im Folgenden mithilfe eines ausgewählten Beispiels nachgehen. Dabei handelt es sich um einen Abbruchsfall, der sich dazu anbietet, auf dieses Problem hin betrachtet zu werden. Er bestätigt die Vermutung, dass ein Abbruch nicht auch schon im engen Sinne Abbruch einer Therapie sein muss. In dem ausgewählten Beispiel spielt eine bestimmte Art von Unersättlichkeit und das Bemühen um Liebesbeweise eine zentrale Rolle. Die Fallbeschreibung liegt als Abschlussarbeit der Ausbildung zum Analytischer Berater / Entwicklungstherapeut in schriftlicher Form vor.

Fallbeispiel: Sommerregen-Gesicht
Beim ersten Hinschauen

Es handelt es sich um eine 55-jährige Frau, die ihre Therapie wenige Stunden vor dem vereinbarten Ende abbrach. Sie kam in die Therapie mit dem Problem, sich überfordert zu fühlen und bei jedem harmlosen Anlass in ein der Situation unangemessenes Weinen zu verfallen. Klientin und Therapeutin vereinbarten 20 Sitzungen. Die Klientin hatte mehrere Schicksalsschläge hinter sich, eine schwerkranke erwachsene Tochter (Multiple Sklerose) und einen kranken Mann (Schlaganfall mit Lähmungen), den sie umsorgen musste und für den sie außerdem noch die Firmenleitung übernahm. So kam es der Therapeutin zunächst nur natürlich vor, dass in einer solchen Lebenslage die Tränen mehr als locker sitzen mussten. Und dennoch konnte sie den häufig fließenden Tränen der Klientin keinen wirklichen Glauben schenken. Vielmehr erschienen der Therapeutin die Tränen einem harmlosen Sommerregen zu gleichen, der spontan und „plätschernd“ einsetzt um genauso schnell wieder zu versiegen. Es schien der Therapeutin, als wäre die Klientin bei ihrem Weinen nicht wirklich in Kontakt mit sich. Analog zu diesem Eindruck beschrieb sie in ihrem Abschlussbericht die Klientin als „Sommerregengesicht“. Neben ihrem besonderen Weinen fiel auf, dass sich die Klientin oftmals nicht wirklich für ihre Wünsche einsetzte, sondern sich in wichtigen Punkten den Wünschen ihres Ehemannes unterordnete. So verzichtete sie auf weitere Kinder und ihre eigene Berufsausbildung, um die kleine Firma ihres Mannes unterstützen zu können, investierte viel Geld und nur ungern ‘geschenkte‘ Zeit in das Jagdhobby ihres Mannes, obwohl sie selber zu diesem Hobby keinen Zugang hatte. Sie versuchte aber niemals etwas an den Verhältnissen zu ändern. Vielmehr hoffte sie darauf, und zwar ebenso beharrlich wie vergeblich, dass der Mann ihre Opfergaben und Leiden bemerkt und ihr zum Beweis seiner Liebe durch eigenen Verzicht und entsprechende Änderungen entgegenkommt.
Nachdem die Therapie etwa über 10 Sitzungen in einer regelmäßigen Form verlaufen war und die Klientin offenbar auch gerne erschien, wurden die Terminabsprachen mit der Klientin zunehmend schwieriger. Nach einer längeren Urlaubspause (auf den Urlaub der Klientin folgte nahtlos der Urlaub der Therapeutin) bekundete sie plötzlich, dass es ihr nun besser gehe und dass sie die Behandlung beenden wolle. Alle Einwände von Seiten der Therapeutin (20-Stunden-Absprache und der aktuelle Entwicklungsstand des Prozesses) wurden von der Klientin nicht akzeptiert. Sie bestand auf dem sofortigen Abbruch der Therapie.


Bildquellen

  • Computergrafik: Karin Fischer