Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

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Ahnung und Beglaubigung

Sinnvoll erscheint es mir, die angesprochene Ahnung eines Klienten in einer Nachbesprechung ausdrücklich zu würdigen. Das Ende der Therapie beglaubigt dann eine Ahnung des Klienten davon, dass sein besonderes Problem nicht wirklich in der „erlaubten“ Form von Therapie auf die Bühne gebracht werden kann. Aus der Ahnung wird eine Gewissheit und der Klient kann am Ende sagen: Ja, so habe ich es gewollt. Im Beispielsfall heißt das: „ich habe mich tatsächlich in meiner Methode erwischen lassen wollen“, was nur über die Zuspitzung in der Form dieses Therapieabbruchs möglich war. In einer entsprechenden Nachbesprechung, für die der Therapeut den Klienten noch gewinnen muss, wird aus dem Abbruch dann noch einmal etwas Neues. Natürlich ändert sich der Abbruch weniger in seiner protokollierbaren Inhaltlichkeit als in seiner Bedeutung für die bisherige und weitere Entwicklung des Klienten. Eine Weiterarbeit mit neuem Ziel und neuem „Untergrund“, könnte sich gut daran anschließen.

Zugleich ist eine solche Nachbesprechung auch für den Therapeuten wichtig. Wenn dieser den Therapieprozess reflektiert, wird er in den meisten Fällen feststellen, dass er selbst schon sehr früh eine Ahnung davon gehabt hatte, dass das Problemmuster des Falles nicht in seiner Ganzheit in den Rahmen einer Therapie hineinpasst. Sein Verständnis von Therapie wird sich bei einem solchen Nachdenken erweitern und sich für das Phänomen einer „Bühnenraum-überschreitenden Inszenierung“ öffnen. Das ist natürlich ebenso möglich, wenn ein Nachgespräch nicht zustande kommt. Beglaubigt wird in diesem Fall nicht die Ahnung des Klienten sondern die des Therapeuten, der gespürt hat, dass ein vom Fall mitgebrachtes Problem nur in einer Art „Bühnenraum-überschreitenden Inszenierung“ auf die Bühne gebracht werden kann. Das unbefriedigende Ende wird so auf eine würdige Weise angenommen und kann von da aus auch als eine Bereicherung erlebt werden.

Weitere Überlegungen

Weitere, laufende Untersuchungen zum Thema des Abbruchs, legen nahe, dass es noch einen anders gelagerten Fall von Abbruch gibt. Wir können uns eine ungefähre Vorstellung von ihm machen, wenn wir ihn von dem besprochenen Fall abheben: Das Besondere einer „Bühnenraum-überschreitenden Inszenierung“ haben wir im Vorangegangenen besprochen. Es lässt sich, wie gesehen, über das Gleichnis des kleinen „Hänschens“ aus dem Kinderlied verdeutlichen. Das gleiche Lied kann uns auch helfen, eine Vorstellung von einem Abbruch anderer Art zu erhalten.
Zur Erinnerung: Das Lied erzählt von einer übermütigen Handlungsweise, die von einem geheimen Wissen getragen ist, dass es jemanden gibt, der über den Verlust sehr weinen würde. Dieses geheime Wissen wird durch den kecken Versuch zu einer gefühlten Gewissheit und macht es dem Hänschen möglich, noch einmal neu zu entscheiden – jetzt mit einem erweiterten Blick und mit einem nun auch gefühlten „Ja“ zu dem Ort, den er eigentlich grade noch verlassen wollte. Stellen wir uns einmal vor, Hänschen wäre ein elternloses Heimkind gewesen. In diesem Falle würde das geheime Wissen um das Weinen der Mutter fehlen. Also wäre schon das Weglaufen hier von anderer Natur.
Hier handelt es sich nicht um einen „Test“. Für ein bindungsloses Heimkind (gemeint ist der Typus) gibt es in dem eben genannten Sinne nicht wirklich etwas zu testen, weil es nur ein Dach über den Kopf gibt, das es verlassen kann, nicht aber ein Heim mit einer Mutter darin. Auch die Wende, die das Lied beschreibt („da besinnt sich das Kind, läuft nach Haus geschwind“) wäre so nicht denkbar. Sollte ein „Heimkind“ nach einem Ausbruch wieder „nach Hause“ „zurück“ laufen, dann nicht weil es festgellt hat, dass sich jemand in dem Heim nach ihm sehnt und um es weint.

Auch in einer Therapie kann sich ein Klient so aufgehoben fühlen wie in einem echten Elternhaus, anstatt untergebracht und versorgt wie das elternlose Kind in einem Heim. Wenn sich die Beziehung zwischen Klient und Therapeut in einer positiven Bindung analog der Mutter-Kind Beziehung gestaltet und diese Therapie abrupt und unerwartet vom Klienten beendet wird, ist es hochwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Weglaufen um einen Test wie in dem Kinderlied vom kleinen Hans handelt. Der Abbruch will in diesem Fall eine Fortsetzung der Therapie mit anderen Mitteln sein – und das ist er dann auch, vorausgesetzt, der Therapeut erkennt das und greift das auf. Für den Therapeuten besteht nun die Schwierigkeit darin, zu erkennen, ob es sich im jeweiligen Fall um einen Test oder um ein tatsächliches Ende der Verbindung handelt. Aber, er wird es immer erst wissen, wenn er, wie in dem Kinderlied angedeutet, dem Hänschen gleichsam als „weinende Mutter“ auch „hinterher gelaufen“ ist. Er muss für einen Augenblick den schützenden Rahmen der Therapie verlassen, damit er auch wirklich mit der Konsequenz einer „weinenden Mutter“ handeln kann. Ein solcher Kontakt an der Grenze des therapeutischen Handelns ist natürlich ausgesprochen schwierig und erfordert in jedem Falle eine supervisorische oder eine intervisorische Hilfe.
Greift ein Therapeut bei einem Abbruchsfall nicht in der gerade beschriebenen Weise ein, verhält er sich genau so, als ob es tatsächlich nicht zu einer tragenden Bindung in der gemeinsamen Arbeit gekommen sei. Für den Abbruch bedeutet dies dann, dass ein wirklicher „Test“ auch nicht stattgefunden haben kann und dass es sich hier eben NICHT um einen Versuch des Klienten handelt, die Therapie gleichsam mit anderen Mitteln fortzusetzen.
Es ist also der Therapeut, welcher aus der Potentialität der möglichen Bedeutungen eines Abbruchs eine endliche Realität macht. Zieht sich der Therapeut aus dem Geschehen zurück „verkommt“ der mögliche Test des Klienten zu einem normalen Therapieabbruch ohne Sinnzusammenhang. Für den Klienten geht damit die (einzige) Chance verloren, etwas Wesentliches über sich selbst und über seine Einbindung in die Welt erfahren zu können.


Bildquellen

  • Computergrafik: Karin Fischer