Paradoxie als Denkprinzip einer neuen Psychologie und Wissenschaft

Paradoxie als Denkprinzip einer neuen Psychologie und Wissenschaft

Paradoxie als unauflösbarer Widerspruch

Paradoxien lassen sich unter vielerlei Gesichtspunkten betrachten, z.B. unter sprachlichen, inhaltlich-faktischen oder auch unter rein logischen Gesichtspunkten. Eine solche systematische Art der Betrachtung des Paradoxiebegriffs möchte ich hier aber nicht entwickeln. Ich gehe im Folgenden vielmehr der Frage nach, welche Rolle und Bedeutung die Paradoxie oder das Denken in Paradoxien für die Wissenschaft der Psychologie in ihrer Entstehung und Weiterentwicklung hat. Mein eigenes psychologisches Denken folgt dabei einem bildanalytischem Konzept. Dieses setzt, wie ich zeigen werde, das psychologische Denken, so wie es sich bis heute entwickelt hat, auf eine konsequente Weise fort. Und dabei spielt die Paradoxie, und wie ich noch später ausführen werde das psychodoxe Denken eine entscheidende Rolle. Die Paradoxie steht gewissermaßen am Anfang einer Entstehung der neuen Wissenschaft vom Seelischen. Deshalb schauen wir uns jetzt an, was mit einer Paradoxie im Zusammenhang mit dem Psychischen genau gemeint ist und worum es im Wesentlichen dabei geht.

Mit einer Paradoxie meine ich einen Zusammenhang, der von einem Widerspruch lebt. Der Widerspruch der hier gemeint ist, ist von prinzipieller Natur, und lässt sich, solange wir es mit einer Paradoxie zu tun haben, tatsächlich nicht auflösen. Häufig tun wir aber so, als könnten wir diese paradoxe Einheit durch ein genaueres Hinsehen z.B. oder durch ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge am Ende doch in etwas Widerspruchsfreies überführen. Die sprachlichen Vorgaben unserer Kultur lassen uns ganz unbemerkt in dieser Weise voreingenommen sein. Nicht selten fühlen wir aber das Unauflösbare und setzen uns dann doch mit einem Augenzwinkern darüber hinweg: Sind doch andere Ziele für uns oft wichtiger als eine psychologisch korrekte Beschreibung. Im Folgenden möchte ich aber nun dem Paradoxen und seiner Bedeutung für das Seelische einen ganz besonderen Platz einräumen – einen Platz, den es in der Wissenschaft vom Seelischen, wie ich meine, und vielleicht auch darüber hinaus, verdient hat.

Täuschung

Ein erstes Problem, auf das ich eingehen möchte besteht darin, dass weite Teile der Wissenschaftsgemeinschaft eine Unauflösbarkeit von Widersprüchen schon als bloße Idee, nicht gerne hinnehmen. Vielmehr hofft man insgeheim darauf, dass alle Paradoxien – wenn sie nicht ohnehin auf einen Fehler in der Form zurückgehen – sich irgendwann einmal werden auflösen lassen. Wir beginnen diese Einstellung zu verstehen, wenn wir nachvollziehen, auf welche Weise diese Hoffnung wachgehalten werden kann. Und dieser Kniff, der eine solche Erwartung aufrechterhält, sieht folgendermaßen aus:

Man betrachtet die paradoxe Einheit zunächst einmal wie von außen, so wie von einer Dritten Position aus, die gleichsam über den darin enthaltenden Gegensätzen steht. Der Gegensatz, von dem die konkrete Paradoxie handelt, wird dabei nun als das Produkt oder Ergebnis zweier Perspektiven gesehen, die gleichsam von außen an die Sache herangetragen werden. Aus der ersten Perspektive leitet sich die eine und aus der zweiten Perspektive die andere Qualität ab. Auf diese Weise erhalten wir Qualitäten, die sich widersprechen, sich aber niemals direkt in die Quere kommen. Beide Quälitäten sind hier fein säuberlich getrennt und bei rechtem Licht betrachtet, mittels der beiden Perspektiven auch je an einem eigenen Ort zu Hause. Der innere Widerspruch einer Paradoxie scheint auf diese Weise wie aus der Welt geschafft. Wir wenden diese Methode alltäglich an, z.B. wenn wir sagen: Dieses Haus ist zu groß und zu klein zugleich. Auf den Widerspruch angesprochen gelingt es uns schnell, jeden Verdacht auf etwas Unauflösbares zu vertreiben. Wir sagen dann z.B.: Das Haus ist für den Einzelnen zu groß und für eine Familie zu klein, das sei es, was wir gemeint haben. Und schon haben wir aus einem paradoxen Gegensatz einen Widerspruch gemacht, der sich ordentlich auf zwei Ebenen verteilt – und das Paradox ist weg.

An der Gestalt eines paradoxen Würfels können wir uns dasselbe auch auf eine grafische Weise deutlich machen. Wollen wir in der vorliegenden Zeichnung störungsfrei einen Würfel sehen, müssen wir einen Teil des Bildes ausblenden. Hierzu haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder wir decken die untere Hälfte ab und erhalten einen Würfel von oben gesehen oder wir decken die obere Hälfte ab und erhalten einen Würfel von unten gesehen. In beiden Fällen produzieren wir ein jeweils widerspruchfreies Bild des Ganzen. Wir können also auch auf eine gemeinsame Gestalt schließen, auf einen Würfel, den wir je nach Perspektivenwahl in unterschiedlicher Weise vor uns haben. Das Gebilde aber, was diese besondere Interpretation zulässt, gibt die besagte Klarheit nur her, wenn wir bestimmte Teile des Ganzen abdecken. Im anderen Falle halten uns zwei handfeste Störungen in den beiden wechselnden Aufsichten von einer solchen Lösung und Interpretation des Ganzen ab.

Das Ausblenden oder Abdecken bestimmter Teile symbolisiert hier die Annahme, dass wir uns den Wirkungen des Ganzen gezielt entziehen können. Das aber entspricht nicht der Natur der seelischen Wirklichkeit. Im Seelischen sind wir vielmehr immer mittendrin und stehen nie an einem Ort, von welchem aus wir die Wirkungen eines Ganzen (eines Systems) einfach ausschalten können. Eine Methode, die dem Seelischen angemessen ist, muss dieses Mittendrinsein anders würdigen und das Unauflösbare von Widersprüchen aushalten. Sie muss sich fragen, was die Unauflösbarkeit zusammenhält! Das bedeutet: Sie muss nach einer Ordnung suchen, die das erklären kann. Damit stellt sie einen neuen und sehr hohen Anspruch an ihr eigenes Tun. Auf die Zeichnung übertragen, heißt das, sie muss die raffinierte, in Widersprüchen lebende Konstruktion herausarbeiten, die zu der Täuschungsmethode selbst den Anlass gibt.


Bildquellen

  • Computergrafik: Karin Fischer