Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

Wenn die Therapie mit Abbruch endet – Zu Struktur und Bedeutung von Therapieabbrüchen

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Möglichkeiten der Weiterarbeit

In einer Nachbearbeitung dieses Abbruchs könnte die Klientin, unterstützt von der Therapeutin, explizit ihre ersten sicheren Schritte darin machen, anzuerkennen, dass sie auf ihrer Suche nach Liebe vermutlich immer ein wenig „hungrig“ bleiben wird, weil sie es durch die fehlende frühe Erfahrung einer unkomplizierten und in ihrem Wesenskern unbedingten Liebe nicht versteht, Liebesgeschenke wirklich wahrzunehmen. Die damit einhergehende Trauer könnte sie in die Lage versetzen, ihre Erwartungen an das Glück des Lebens in einem neuen Licht zu sehen. Das Gefühl, das in seiner Überdimensionierung nie erfüllt ist, könnte einer neuen Erfahrung und milderen Sehnsucht Platz machen. Der Übergang in eine neue seelische Gespanntheit (das Erfüllt- und Unerfülltsein betreffend) muss durch eine echte Trauer hindurch. Dadurch kommt die Klientin intensiver und echter mit sich in Kontakt, den sie sich selbst bisher durch eine Art Sommerregen-Prothese ersetzt hat.
Die Trauer würde die Klientin von dem Aufwand erlösen, ihre Wünsche immer wieder unter das Diktat des Liebesbeweises stellen zu müssen. Sie könnte in der Folge lernen, zu den eigenen Wünschen auf eine unkompliziertere Weise zu stehen und diesen eine bessere Chance geben.

Ein Bild für den besonderen Zusammenhang

Das vorgestellte Fallbeispiel zeigt, dass es Sinn macht, die Therapie im Abbruchsfalle, sich erst einmal auf die folgende Weise anzusehen: Wie ist das sich im Laufe der Therapie herausarbeitende Bild vom „Fall“ mit dem Bild eines plötzlichen Abbruchs in Verbindung zu bringen? Das heißt, wir müssen versuchen, zwei Bilder in eins zu bringen.
Mit dem Kinderlied „Hänschen klein“ wird das, wie der vorliegende Fall zeigt, möglich. In dem Kinderlied wird eine Situation dargestellt, die das strukturell Besondere des hier besprochenen Falles auf das Bild oder Gleichnis eines bestimmten Weglaufens bezieht. Gezeigt wird ein Kind, welches einem inneren Drang folgend die Mutter verlässt und dann eine Umkehr in sich vollzieht. Das Weinen der Mutter im Hintergrund hat dabei eine doppelte Bedeutung: Es bildet nicht nur die Ursache für die Rückkehr des Kindes, sondern vor allem auch die Voraussetzung für die Weglauf-Möglichkeit überhaupt. Weil ein Kind ein starkes Gehalten sein fühlt, kann es sich erlauben, wegzulaufen. Es weiß darum, dass die Mutter irgendwann weinen würde. Aber es denkt in seinem Weglaufen nicht daran. Es existiert eine echte Verbindung zwischen beiden im alltäglichen Leben. Der Mutter würde es unendlich wehtun und das „weiß“ das Kind irgendwie, spürt es aber erst, wenn es dem Rauslaufen Raum gibt und sich auf den Weg in die weite Welt hinein macht. In dem Kinderlied klingt es so, als wenn sich das Weinen der Mutter ausschlaggebend (aber nicht im Widerspruch zur Realität) in den Gedanken des Kindes ereignen würde. Das Kind stellt sich plötzlich vor, wie sehr die Mutter weint und so kann auch das Überdimensionierte des Weglaufaktes wieder heruntergefahren werden. Die nahen und kleinen Dingen im Leben (und das meint die Liebe der Mutter in ihren einfachen und alltäglichen Ausdrucksformen) wird wieder als sehr wichtig und in einem neuen Zusammenhang mit der noch sehr offenen, eigenen Entwicklung erlebt.

Der Klientin hat, wie das Verhältnis zur Mutter zeigt, genau von dem etwas gefehlt, was ein solches Weglaufen hätte motivieren können. Ich glaube, sie konnte sich nicht wirklich vorstellen, ein echtes „um sie Weinen“ in einem solchen Fall auslösen zu können. Das „Weglaufen“ der Klientin wird durch dieses Kinderlied in ein sehr interessantes Licht gerückt: Ein Kind erprobt seine eigenen Möglichkeiten (was trägt, was ist mit den eigenen oder auf eigenen Beinen möglich) und obwohl es mit Stock und Hut eigentlich sehr gut ausgerüstet zu sein scheint, kann es auf Grund des Weinens der Mutter, oder genauer: durch das Sich-vorstellen-können des Weinens, zu den sicheren Dingen mit einem Gefühl der Stärke auch wieder zurückkehren.
Auf die Therapie bezogen entspräche das „Weinen der Mutter“ den Bemühungen der Therapeutin, das „Kind“ (also die Klientin) wieder zurück zu den kleinen Dingen des Lebens zu holen. Das „gefühlte“ Traurigwerden der Therapeutin hat für die Klientin demnach etwas von einem Versprechen, das ihr möglicherweise sagt: Gerade in den kleinen Dingen liegt das berührend Echte. Und auch die Unverbrüchlichkeit bekommt einen Ausdruck, von der sie im Grunde keine reale Erfahrung und Vorstellung hat.
Die Klientin, so zeigt die Analyse des Falles, hat eine Ahnung davon gehabt, dass ihre Methode des hungrigen Suchens (Liebesbeweise) niemals wirklich satt machen kann und dass sie in diesen Bemühungen sich mehr und mehr verloren hat. Sie ahnt auch, dass das in einer Therapie für sie nicht anders laufen kann: Wie soll sich die inflationäre Beweissuche in einer Therapie selbst erfahren wenn nicht durch einen Zusammenbruch der „Blase“ (wie man es im Finanztechnischen nennt). Diese Ahnung bringt die Klientin mit in die Therapie hinein: Sie ahnt, dass sie in der Therapie das gelebte Muster nicht auf „erlaubte“ Weise zur Darstellung bringen kann – das Platzen der „Blase“ gehört entscheidend mit zu dem Bild.


Bildquellen

  • Computergrafik: Karin Fischer