Zur Frage nach den Anfängen des Seelischen

Zur Frage nach den Anfängen des Seelischen

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Typische Gefahren und Gefahrenabwehr

Eine Gefahr für die erste Form seelischer Entwicklung ist dann gegeben, wenn das sich selbst genießende Zusammenspiel, welches der Säugling immer wieder herzustellen versucht, von seinem Gegenüber behindert wird. Das ist z.B. der Fall, wenn eine Mutter die Einladungen in ein solches Spiel ganz einfach übersieht und sich beim Wickeln z.B. vorrangig auf das Saubermachen (Realitätsprinzip) konzentriert. Ein Kind kann sich dagegen „wehren“, in dem es sich abwendet und im schlimmsten Falle jede Resonanz verweigert. Anstelle einer Abwehr im engeren Sinne hat der Säugling aber auch die Möglichkeit, sich vorbeugend auf die Abrisse und Behinderungen durch Wiederholung stark zu machen. Dem Fötus und späteren Säugling tut es gut, wie W.E. Freud sagt, wenn er sich schon im Mutterleib so eine Art von „seelischer Immunität“ zulegen kann. Dazu hat er ausreichend Gelegenheit in einem schon intrauterin stattfindenden, sich selbst geniessenden und weitgehend von rhythmischen Erfahrungen bestimmten Zusammenspiel – vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer Vertreibung aus dem Zusammensein wie bei einer Frühgeburt. Auch der Säugling sucht sich in einer ähnlichen Weise „stark“ zu machen. Wenn wir an das „Schöpfungsspiel“ denken, so legt sich nahe, auch hier an einen Übungseffekt zu denken. Dieser versetzt den Säugling in die Lage, eine Erwartungshaltung aufzubauen, welche ihm in erfolglosen Situationen „sagt“: „Es wird schon wieder gelingen, in den glückseligen Zustand hineinzukommen“.
In den beiden nachfolgenden Seelenräumen, die unsere Psyche in ihrer Entwicklung noch durchwandern muss, gibt es andere Gefahren und ebenso die dazu passenden Formen der Bearbeitung. Hier sind erst mal die frühen Abwehrmechanismen zu nennen: In der Phase, in der das Getragensein thematisch ist und zwar nach dem Vorbild der Mutter-Kind-Beziehung dyadisch organisiert, können verschiedene Formen eingesetzt werden, die dem Kind erst mal eine archaische, einfache Lösung ermöglichen, die nach einem Aufschub dann zusammen mit der Mutter durch eine höhere, leistungsfähigere Verarbeitung ergänzt werden kann. Ich erinnere an den von Anna Freud beschriebenen Mechanismus der Identifikation mit dem Angreifer und an den Mechanismus des Ungeschehenmachens. Auch die so genannte Aufspaltung eines „Objekts“ in zwei Teile, die keinen Kontakt mehr zueinander haben, gehört hier hin. Typisch für diesen zweiten Seelenraum ist es, dass dem Kind etwas zustößt, das wie ein Einbruch in ein Allmachtsgefühl erlebt werden kann. Ein solches, eigentlich nur zu einer allmächtigen Person passendes Grundgefühl ist nämlich unterschwellig immer mit im Spiel, in diesem besonderen „Entwicklungsraum“, wo doch das Psychische sich ausdrücklich als getragen, beschützt und als nicht hinterfragbar geliebt wähnen darf.
In der dritten Phase, in der die Verantwortlichkeit des Einzelnen wie eine Erwartung an das Seelische durchgehend Einfluss nimmt, haben wir wiederum einer anderen Art von seelischer Gefahr zu begegnen: Alles, auch das, was wir mit den besten Absichten und dem größten Einsatz unternehmen, kann sich ohne unser besonderes Verschulden in seiner Wirkung plötzlich gegen uns richten. Alles was wir tun hat also eine Kehrseite und die kann uns „erwischen“. Mit unserer Fähigkeit (Haltung), Zwiespältiges auszuhalten, Paradoxes zuzulassen, schaffen wir es, auf diese Momente hin irgendwie „vorbereitet“ zu sein. Wir wandeln in diesem Sinne einfache Antriebe, die uns im Falle einer sexuellen Versuchung z.B. in Probleme mit unserem Lebenspartner bringen könnten, „vorsorgend“ in etwas anderes um, und zwar in etwas „kulturell“ Nützliches – wie man so schön sagt -und schreiben dann vielleicht für das Feuilleton in einer Zeitschrift ein Gedicht: Wir sublimieren also (um einen von Freud so benannten „Mechanismus“ zu erwähnen).
Wir suchen also, anders als wir es in den Abwehrformen der zweiten Räumlichkeit tun, mit den möglichen Kehrseiten unserer Wirklichkeit in Kontakt zu sein, wenn auch oft nur auf eine latente Weise. Im negativen Falle verfängt sich das Seelische aber darin und versucht alles zu tun, damit eine bestimmte Kehrseite niemals eintreten kann. Dabei wird die ungeliebte Seite einer Entwicklung so behandelt, als hätten wir ein perfektes Mittel, ihr zu entgehen. Eine „Verdrängung“ der beunruhigenden Impulse findet statt und wir verwickeln uns dabei in einen dauerhaften und unverhältnismäßig großen Aufwand. Der zunehmende Aufwand dient am Ende nur noch dazu, das Wegdrängende gegen die „Versuchung“ aufrecht zuerhalten, die unglücklicher Weise aber so gerade nicht schwächer wird.


Bildquellen

  • Wellen: Karin Fischer