Die wachsende Bedeutung der analytischen Säuglingsbeobachtung

Die wachsende Bedeutung der analytischen Säuglingsbeobachtung

Vortrag zur Tagung des Psychosozialen Forums „Psychologie ist nicht Heilkunde“ (1988)

Begrüßung

Herr Mikus, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme auch aus der Psychologie, und wurde in England als Psychoanalytiker ausgebildet, wo ich 45 Jahre lang gelebt habe. Seit 1983 lebe ich wieder in der Bundesrepublik. Ich gebe Ihnen kurz ein paar autobiographische Daten, in denen Sie vielleicht schon ein paar interessante Verbindungen zum Thema ablesen können.

Anna Freud und die Hampstead Child Therapy Clinic als Umfeld

Ich habe ein Training in Erwachsenenpsychoanalyse und Kinderanalyse hinter mir und konnte eine Zeitlang Erfahrungen an der Hampstead Child Therapy Clinic (*1) sammeln, einer psychoanalytischen Tagesklinik für Kinder.
Wir hatten dort eine sogenannte Well-Baby Klinik, eine Klinik für gesunde Babys. Da kamen schon die Mütter hin, wenn sie schwanger waren. Und nach der Geburt kamen sie mit ihren Kindern. Den Kindern fehlte nichts. Es war ein sogenannter monitoring-service, ein Überwachungsdienst, den wir ihnen anboten. Die Mütter brachten ihre Fragen und Probleme mit und wir versuchten ihnen zu helfen. Dort konnte man also Mütter und Kinder beobachten. Außerdem gab es dort einen Ausbildungskurs für Kinderpsychoanalytiker. Die Studenten konnten dort ihre Beobachtungen im Laufe ihres Trainings machen. Technisch war das so eingerichtet, dass immer nur einer zur gleichen Zeit und am gleichen Ort beobachtete, denn sonst wäre das störend gewesen.
In der Klinik ist damals auch ein psychoanalytisches Profil für Kinder ausgearbeitet worden. Das hatte Anna Freud gemacht. Und irgendwann fragten wir uns, warum nicht auch ein Profil für Babys entwickeln? So kam es zu der Idee, das Schema der Bewertung noch etwas nach unten hin zu verlängern. Es gab dann eine Forschungsgruppe, die sich für ein paar Jahre damit befasste, dieses Profil auszuarbeiten.

Ein Zufall, der mich zu den Frühgeborenen brachte

Zu meinem ganz persönlichen Engagement auf dem Gebiet der Säuglingsbeobachtung hat dann noch ein besonderer Zufall beigetragen: Die Psychoanalytiker haben von Zeit zu Zeit internationale Kongresse. Auf einem solchen Kongress hatte ich einen kleinen Vortrag und es war auch ein Psychoanalytiker aus Kalifornien dabei, Professor Justin Call, der sich an meinem Beitrag besonders interessiert zeigte. Zunächst hörte ich nichts mehr von ihm. Ungefähr zehn Jahre später aber bekam ich einen Brief. Darin schrieb er, dass es in seinem Bereich eine Gastprofessorenstelle gäbe, und fragte mich, ob ich nicht interessiert sei. Es handelte sich dabei um einen kleinen Ort in Kalifornien, von dem ich zuvor nie gehört hatte. Ich erkundigte mich dann, und auch sonst hatte niemand von diesem Ort schon was gehört. Wir korrespondierten weiter, und dann sagte ich zu und flog hin. Es war eine Abteilung von der University of California, Departement of Psychiatry and Human Behaviour – Psychiatrie und menschliches Verhalten.
Dieser Professor arbeitete sehr eng mit einer Frühgeborenen-Intensivstation zusammen, praktisch unter demselben Dach mit ihnen. Er fragte mich, ob ich interessiert sei, so etwas zu sehen. Ich hatte noch keine Beobachtungen auf einer Intensivstation machen können. Als Laie hat man eigentlich keine Gelegenheit, da hinein zu kommen. Ich fand das aber hochinteressant und fragte ihn, ob ich dort auch beobachten könne und dann verbrachte ich dort einige Zeit. Ich war ungefähr drei Wochen in Kalifornien und es war so interessant, dass ich beschloss, meine Sommerferien auch noch dort zu verbringen. Kalifornien ist sowieso schön, und ich war sehr interessiert an diesen Beobachtungen. Und dann führte so eines zum anderen. Ich fragte, ob ich Geburten sehen könnte, und war dann im Kreißsaal dabei und sah Geburten, was sonst für Nicht-Mediziner gar nicht so einfach ist. Und so blieb ich noch drei Wochen, bevor ich wieder zurück nach England ging. Dadurch, dass ich nun einmal schon drin gewesen war, war es im weiteren relativ leicht, auch in eine englische Frauenklinik zu kommen. Dort machte ich dann meine Beobachtungen vor allen Dingen auf der Frühgeborenen-Intensivstation.


Bildquellen

  • W. Ernet Freud: Werner Mikus