Die wachsende Bedeutung der analytischen Säuglingsbeobachtung

Die wachsende Bedeutung der analytischen Säuglingsbeobachtung

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Zur Entwicklung der Forschung auf diesem Gebiet

Nun, das ist psychoanalytische Beobachtung im Rahmen einer psychoanalytischen Ausbildung. Im Folgenden möchte ich etwas erzählen über die Entwicklung der Säuglings-Beobachtung außerhalb der psychoanalytischen Ausbildung und welche Beobachtungen und Fragen mich persönlich dabei interessiert und weitergebracht haben.
Vielleicht haben einige von Ihnen die Filme von James Robertson gesehen. James Robertson ist ein Londoner Kollege, der als Psychoanalytiker ausgebildet wurde und mit John Bowlby von der Tavistock Clinic zusammengearbeitet hat. John Bowlby ist Ihnen vielleicht durch seine Arbeit über Trennung bekannt. James Robertson nun ging in ein Kinderkrankenhaus und filmte dort ein zweijähriges Kind, das hospitalisiert war, weil ihm die Mandeln rausgenommen wurden. Er war im Krankensaal mit seiner Kamera, verhielt sich ganz ruhig und filmte dieses Kind in bestimmten Zeitintervallen. Mit seinen Aufnahmen konnte er sehr eindrücklich zeigen, wie das Kind durch die Trennung von der Mutter und von der Familie mehr und mehr regredierte, und wie es versuchte, damit fertig zu werden. (*3)
Ich hatte ja schon von den Beobachtungen der Studenten an der sogenannten Well-Baby Klinik und in den Familien erzählt. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass der Beobachter das Kind manchmal auch in der Klinik sah und nicht nur in der Familie. Das sind nämlich zwei ganz verschiedene Situationen und für den Beobachtenden ist das sehr instruktiv, weil das Kind sich natürlich ganz anders verhält in einer fremden Umgebung – und die Mutter auch. Sie kennen das wahrscheinlich selbst, dass bei einem Arztbesuch vielleicht Ihr Puls schneller arbeitet. Das ist bei Erwachsenen auch so, dass sie Ängste haben, sich anders verhalten. Und es war sehr instruktiv, diese Kinder und die Mütter in diesen zwei unterschiedlichen Situationen zu beobachten.
Was die Entwicklung in der Psychoanalytischen Forschung betrifft, so kann man eine ganz bestimmte Tendenz erkennen. Das Interesse ging zunächst von den Erwachsenen über die Adoleszenten auf die Kinder über. Heutzutage haben wir bereits Kinderanalysen. Das ging dann auf die kleinen Kinder über, auf die Babys. Man beschäftigt sich heutzutage zunehmend mit der Geburt, was früher noch nicht so war. Und über die Geburt und die Neugeborenen hat sich das besondere Interesse jetzt auf die Schwangerschaft hin ausgedehnt und auf die ganze pränatale Dimension. Und die neuen Interessen und Fragen versuchen wir natürlich auch in unseren Analysen mit zu berücksichtigen und mit einzubeziehen.

Das zunehmende Interesse an den frühsten psychischen Formen

Wie schon erwähnt, hatte ich die besondere Gelegenheit, meine Beobachtungen durch eine unerwartete Gastprofessur und Einladung nach Kalifornien in einer Frühgeborenen-Intensivstation zu machen. Als Außenseiter sieht man viele Sachen, welche die Leute, die dort arbeiten, wahrscheinlich nicht so sehen. Und ich bekam dann verschiedene Eindrücke und verschiedene Ideen. Ich fragte mich, warum macht man das so und nicht anders. Manches schien mir nicht optimal und ich stellte es in Frage. Und ich fragte mich, ob man das nicht vielleicht auch anders und vielleicht auch besser machen könnte.
Ungefähr um die gleiche Zeit hörte ich die Geschichte eines brasilianischen Babys. Das war genau genommen kein brasilianisches Kind. Es war ein frühgeborenes Baby einer amerikanischen Familie, die in Brasilien lebte. Die Familie hatte eine portugiesische Hebamme und diese Hebamme band sich dieses Frühgeborene zwischen die Brüste. Und dieses kleine Baby – Sie wissen, diese Babys sind sehr klein und untergewichtig – kam sehr gut voran, es blühte und gedieh und entwickelte sich. Es war ein kleiner Junge, der gut aufwuchs, der Professor an einer amerikanischen Universität wurde, zwei Bücher schrieb, heiratete, 81 Jahre alt wurde, einen Sohn hatte, ein Enkelkind. Ich erwähne das alles, weil ich sagen will: das Ergebnis, das outcome dieser Behandlung, war in diesem Falle ausgezeichnet. Nur leider fand das ganze ungefähr vor hundert Jahren statt. Der Sohn lebt noch. Er ist Arzt geworden und hat diese Geschichte jemandem erzählt, der mir diese Geschichte wiederum weiter erzählte.
Und mein Eindruck auf diesen Stationen war sowieso, dass diese Babys viel zu wenig menschlichen Kontakt bekamen. Sie mussten ja zuerst im Brutkasten liegen und waren dadurch sehr isoliert. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn sie mehr Hautkontakt bekämen, so wie dieses sogenannte brasilianische Baby? Und dann fragte ich mich, ist es vielleicht eine Methode, die die Naturvölker sowieso schon verwenden, wenn sie die frühgeborenen Babys auf der Brust tragen? Und ich begann dann eine Korrespondenz mit den kulturellen Anthropologen und fragte sie, ob sie das in ihrer Feldarbeit beobachtet hätten. Und ich bekam dann zwei Kategorien von Antworten. Die eine war: bei den Naturvölkern lässt man diese Babys nicht überleben. Die sind so leicht und so klein und die Lebensaussichten sind so gering, dass sie die aussetzen und sterben lassen. Die zweite Antwort war: Wir haben auf diese Art der Frühgeborenenpflege gar nicht hingeschaut: „Wir wissen, die Eingeborenen tragen ihre Kinder entweder auf dem Rücken oder auf der Hüfte, aber auf diesen Zusammenhang haben wir dabei noch nicht gesehen“. So bin ich also auf diese Weise auch nicht weiter gekommen.
Und dann geschah etwas in den siebziger Jahren. Sie kennen wahrscheinlich alle die Filmschauspielerin Liv Ullmann. Die hatte eine Mission von der UNICEF World Health Organization, und sollte überall in der Welt herumreisen, um Geld zu sammeln. Sie reiste in der ganzen Welt herum und kam auch nach Kolumbien, nach Bogotá, und besuchte dort ein Krankenhaus. Und dieses Krankenhaus hatte eine Frühgeborenen-Intensivstation. Und wie das so häufig ist in der Dritten Welt: sie hatten zu wenig Geld, um sich genug Brutkästen anzuschaffen, und sagten dann den Müttern: Warum tragen sie ihre Frühgeborenen nicht auf der Brust, wie dieses brasilianische Baby? Also aus der Not heraus geschah das. Und die hatten auch ausgezeichnete Resultate, diese Babys gediehen sehr gut, soweit sie natürlich nicht zu wenig Gewicht hatten und eben überlebten. Und als Liv Ullman das der Presse mitteilte, erregte das überall Interesse. Auch unter den Kinderärzten. Und einige Kinderärzte flogen dann nach Bogotá und sahen sich das an, um herauszufinden, wie viel davon wir in den westlichen Industrieländern auch verwenden können und initiierten kontrollierte Studien.
Ein Kinderarzt aus London vom Hammersmith Hospital (*4) hat jetzt z.B. eine Forschung laufen, in der den Müttern erlaubt wird, ihre Frühgeborenen so oft es geht zu halten, vorausgesetzt, dass sie die Raumtemperaturen schon ertragen und die Raumluft verarbeiten können. Und sie protokollieren dann, wie die Babys sich entwickeln. In Deutschland macht das Prof. Schmidt in Düsseldorf / Neuss in der Frühgeborenen-Intensivstation, auch in Florida läuft eine Forschung und wahrscheinlich an mehreren Stellen der westlichen Welt. Nur wissen nicht alle voneinander.


Bildquellen

  • W. Ernet Freud: Werner Mikus