Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

Die Vorgeschichte

Weit drei Jahren betreue ich als Klassenlehrer eine Klasse einer Gesamt­schule. Die Gruppe besteht aus 16 Schülern und 15 Schülerinnen im Al­ter von 13-14 Jahren. Nachdem wir die ersten zwei Jahre in einem kleinen Zweitgebäude der Schule verbracht hatten, zog die Klasse vor einiger Zeit in das Hauptge­bäude um. Vor dem Umzug hatten wir besprochen, wie wichtig in der neuen Situation der Zusammenhalt der Klasse sein würde, um als ‚Neu­linge’ in der großen Schule’ bestehen zu können. Doch bereits nach weni­gen Wochen bot sich ein anderes Bild: Bedingt u.a. durch neue Schüler in der Klasse bzw. durch unterschiedliche Entwicklungsfortschritte war eine deutliche Kluft innerhalb der Gruppe zu spüren. Auf der einen Seite standen die ‚Coolen’, die sich auch körperlich z.T. erheblich weiter­entwickelt hatten, auf der anderen Seite die eher Ängstlichen und Un­scheinbaren. Letztere wurden zunehmend gehänselt, heruntergemacht, teilweise auch belästigt und beleidigt. Hinter den Aktionen stand meist die Botschaft: Du bist nichts wert, du bist meiner nicht würdig. Die Missach­tung manifestierte sich insbesondere in Form eines lauten Quäkens, mit welchem Fehler und unerwartete Äußerungen von Schülern bedacht wur­den. Mit diesem Ge­räusch wurden insbesondere die Beiträge der weniger Durchsetzungsfähi­gen kommentiert.
Immer mehr beklagten sich nicht nur diese Schüler über die zunehmend negative Atmosphäre in der Klasse. Viele Schüler äußer­ten im Blick auf die anstehende Klassenfahrt Unbeha­gen und Unlust, eine Schülerin dachte sogar über einen Schulwechsel nach.
Da ich mich zu diesem Zeitpunkt in der Ausbildung zum Psychosozialbe­rater / Entwicklungstherapeuten befand, kam mir die Idee, meine Klasse als Fall für einen entwicklungstherapeutischen Prozess zu nehmen. Das Ziel sollte sein, dass wir uns bis zur Klassenfahrt Zeit füreinander nehmen sollten, um in einer wöchentlich eingerichteten Klassenstunde an dem deutlich gewordenen Problem des negativen Umgangs miteinander zu arbeiten.

Leidensdruck Klassenfahrt

Bei der Vorbereitung wurde mir bewusst, dass ich mich bisher wenig mit dem Innenleben der Klasse beschäftigt hatte, irgendwie spürte ich auch eine Distanz zu der Gruppe, für die ich aber in dem folgenden Prozess mehr Zeit und Energie bereitstellen wollte. Offensichtlich war sie mir dieses Engagement bisher nicht wert gewesen.
Mich selbst hatte die Frage einer echten „Wertschätzung“ hinsichtlich mei­ner eigenen Schulklasse bislang nur im Rahmen „schulischen Funktionie­rens“ interessiert. Ich wollte, dass alles seinen geregelten Gang geht und die Schüler mich weitgehend in Ruhe ließen. Die Klasse selber schien mich auch nicht sonderlich zu brauchen, sie forderte immer möglichst viele Freiheiten und wenig Einfluss von mir.
Der Klassenfahrt selber sah auch ich eher lustlos entgegen. Obwohl ich die Klasse schon seit 2 Jahren betreute, war sie mir noch nicht besonders an Herz gewachsen. Vor dieser Klasse hatte ich bereits sechs Jahre eine andere, von der noch einige die Oberstufe unserer Schule besuchen. Nach jahrelanger positiver Zusammenarbeit war insbesondere die Abschluss­fahrt eine Enttäuschung gewesen, möglicherweise hatten die Schüler teilweise zu viele Freiheiten, die sie eher negativ ausgenutzt hatten. Nach der Enttäuschung mit dieser Klasse hatte ich mich dann doch zu einer neuen Klassenleitung überreden lassen bzw. durchgerungen, die Bezie­hung zu der Klasse aber eher halbherzig gepflegt. Mein „Erziehungsstil“ war von einer stärkeren Hand geprägt, die von vielen aber auch gebraucht zu werden schien.
In den diversen Anträgen, dass ich mit der Klasse zusammen deren „In­nenleben“ einmal durchleuchten sollte (Störungen und mangelndes Wir‑ Gefühl besprechen), spiegelte sich offensichtlich der Wunsch von allen nach einer Veränderung wider. Ich vereinbarte mit den Schülern, dass eine feste Wochenstunde für die internen Belange der Klasse reserviert wird, der sonst herrschende äußere Rahmen der Klassenordnung (die Schüler sitzen frontal zum Lehrer) sollte zu Gunsten von Gruppentischen oder eines Sitzkreises geändert werden. Mein Rollentausch vom bestimmenden und sanktionierenden Lehrer zum Berater des Gruppenprozesses wurde von den Schülern aufmerksam zur Kenntnis genommen. Als Be-ratungsge­genstand wurde abgesprochen, in den verbleibenden Wochen bis zur Klassenfahrt, d. h. in etwa 10 Stunden genauer festzustellen, was an Un­zufriedenheit und Störungen in der Klasse erfahren wird, zu ergründen, warum diese da sind, und Möglichkeiten der Veränderung zu entwickeln.


Bildquellen

  • Gorilla: Anonym