Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

Seite 5

Der Wandertag – eine misslungene Probe

Es existierte ein starker Wunsch nach Gehalten-Sein neben dem etwas lautstärker sich zu Wort meldendem Wunsch nach der großen Freiheit. Das war auch bei der zwischenzeitlich stattgefundenen Fahrt nach Köln deutlich geworden. Der Tag war mit nur wenigen gemeinschaft­lichen Eckpunkten geplant, die individuelle Freiheit konnte von den meis­ten Schülern aber nicht genutzt werden, so dass das Unternehmen in ei­nem buchstäblichen Chaos endete (Notarzt, weil ein Schüler hyperventilierte, Krankenhauseinlieferung, Verpassen des vorgesehenen Zuges). Ich musste lernen, dass ich der Gruppe auch gegen ihren Widerstand noch einen relativ festen Rahmen anbieten musste, innerhalb dessen sie gehalten und gleichzeitig freizügig ihre Vorstellungen umsetzen konnten.
Während des Klassenausflugs zeigte sich dies daran, dass sich die Schü­ler nicht an die Regeln der Gruppe hielten und vereinbarte Treffpunkte- und Zeiten nicht einhielten. Auch ich als Klassenlehrer, so fiel mir später auf, wollte mich an diesem Ausflugstag nicht richtig einlassen, sondern hatte vor, mir mit meinem Kollegen „einen schönen Tag in Köln“ zu ma­chen. Ich merkte, dass ich dringend etwas für die Gruppe tun und die Be­ziehung zu ihr ernst nehmen musste. Die Leiderfahrung der Köln-Fahrt brachte das Problem der gegenseitigen Wert-Schätzung noch einmal deut­lich zutage.

Die Klassengemeinschaft mit neuen Augen sehen

Nach diesen unbefriedigenden Erfahrungen hatte ich den Eindruck, wieder bei Null anfangen zu müssen. Mir erschien es, als sei das zuvor erreichte ‘Pflänzchen’ von neuer Offenheit und besserem Miteinander verdorrt, als sei die in den Stunden davor erreichte Entwicklung stehen geblieben.
In der folgenden Sitzung sollten die Schüler in einem Phantasiebild einzeln die Gruppe darstellen und damit das Gefüge der Klasse deutlich machen. In diesen Bildern wurde immer wieder die feste / festgefahrene Struktur der Klasse erkennbar, in welcher der Raum zu einer individuellen Entfaltung zu kurz kam. Besonders meine Position in der Klasse zeigte sich in den Bildern meist als sehr groß und dominant. Die Schüler hatten nicht nur sich selbst, sondern auch mir den Spiegel vor Augen gehalten. Über meine Rolle in der Gruppe kam ich während der Bilderstellung immer wieder mit einzelnen Schülern ins Gespräch, was diese als etwas Besonderes wür­digten.
Während die Jungen an einer Weiterarbeit in Kleingruppen interessiert waren, hatten sich die Mädchen dagegen mehr das Kreisgespräch gewünscht. Diese Wünsche hatte ich für die folgende Sequenz berücksichtigt: Die Mädchen bildeten in einem Extraraum einen Sitzkreis, die Jungen sollten im Klassenraum Gruppen von etwa fünf Schülern bilden. Den Gruppen wurde in Form eines fiktiven Projekt‑Wettbewerbes die Aufgabe gestellt, bis zum Ende der Stunde den Bau einer Brücke nach bestimmten Regeln (bezüg­lich Größe, Material etc.) zu planen. Meine Aktivität war festgelegt auf die Aufgabe als Projektleiter, der die Arbeit begleitet und beratend zur Seite steht. Am Ende sollte jede Gruppe mir eine Skizze für den Bau der Brücke und eine Liste mit dem benötigten Material geben.
Die Planungsgruppen wurden allein gelassen, so dass ich Zeit für den Gesprächskreis der Mädchen hatte. Als diese jedoch auf Nachfrage erfuh­ren, mit was sich die Jungen beschäftigen, wollten sie sich spontan auch an dem Brückenprojekt beteiligen. Sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen gelang es jeweils einer Gruppe, ganz konzentriert und kon­struktiv miteinander zu arbeiten. Eine Jungengruppe hatte schon am An­fang Probleme damit, eine adäquate Sitzordnung zu finden, um miteinander reden zu können. In kritischen Phasen griff ich als Berater ein, jedoch im­mer darauf beschränkt, die Schüler zu Beobachtung ihres eigenen Grup­penprozesses anzuregen und selber Lösungen aus den Verwicklungen zu finden. Bei einem weiteren Besuch hatte sich die ‘problematische’ Jung-en­gruppe selbstständig geteilt, worauf die Arbeit in den jeweiligen Kleingrup­pen funktionierte. Auch bei einer Mädchengruppe knirschte der Prozess erheblich, zwei Mädchen bildeten ein Außenseitergrüppchen, das sich nicht integrieren wollte bzw. nicht eingebunden wurde. Bei einer Unter-bre­chung der Arbeit zu einer Re-flexionsphase kam heraus, dass sich nach eigener Aussage ‘zwei Königinnen’ in der Gruppe befänden, die gegensei­tig die Arbeit der anderen und ihrer jeweiligen Mitstreiter blockierten. Es gelang auch nach mehreren Versuchen, nur teilweise die Gruppe als ein Ganzes zusammenzuschweißen. Alle Gruppen lieferten am Ende der Stunde aber das ‘geforderte’ Ergebnis ab.
Mit dem Ausblick auf die Folgestunde (Bau der geplanten Brücke) wurde den Gruppen die Aufgabe gegeben, das Mitbringen der nötigen Materialien zu organisieren. Bis auf eine Gruppe, die nichts mitbrachte, nahmen alle das Projekt sichtlich ernst und waren in der Folgestunde gut gerüstet. An­geregt durch eine „Krisensitzung“ mit mir als Projektleiter gelang es aber auch der unvorbereiteten Gruppe, sich in der Stunde mit Material zu ver­sorgen.


Bildquellen

  • Gorilla: Anonym