Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

Der interne Coach – Das Experiment eines Klassenlehrers

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Erfolgserfahrung Klassenfahrt

Die Erfahrungen während der Fahrt zeigten, dass in der Klasse eine Ent­wicklung angestoßen war, eine neue Klassengemeinschaft zu werden. Aufgrund des teils zufälligen, zum anderen Teil aber auch von den Schülern selbst gewählten Umstandes, dass die Klasse in einem separaten Gebäude und als Ganzes unterkam, war die Gruppe frei von besonderen Ablenkungen und hatte intensiv Gelegenheit, sich als eigene Gruppierung zu erleben und zu entwickeln. Dies führte insge­samt zu einem guten Ergebnis und zu einer von allen als sehr schön er­lebten Fahrt. Dass die Gruppe einen Schritt zu neuer Eigenständigkeit und auch zu einem reiferen Miteinander gefunden hatte, soll zum Schluss an einem Beispiel gezeigt werden:
Während einer Nachtwanderung wandten sich zwei Schüler an mich mit der Bitte, mich dringend sprechen zu müssen. Sie baten um die Möglichkeit, sich nach der Wanderung mit einigen anderen (u.a. aus einer Parallelklasse) für ca. eine halbe Stunde in einem Raum der Ju­gendherberge treffen zu dürfen. Sie hätten eine sehr wichtige Angelegen­heit zu besprechen und zu klären. Der Hintergrund war, dass ein Schüler ein Gerücht über ein Mädchen aus der Parallelklasse verbreitet haben sollte, was dieses sehr in Misskredit brachte. Aufgrund der sehr ernsthaft und dramatisch vorgetragenen Angelegenheit wurde den Schülern diese Ausnahmeregelung gewährt. Zunächst zogen sich die Betroffenen, ein unabhängiger ‘Schiedsmann’ sowie zwei Zeugen zurück. Durch ein Fenster konnte ich eine sehr ernsthaft geführte Debatte erkennen, weitere Zeugen wurden hinzugezogen, andere verließen den Raum. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit fragte ich bei der Gruppe nach, ob alles in Ordnung oder vielleicht eine beratende Hilfe nötig sei, doch die Gruppe bat nur um eine kurze Verlängerung. Diese hielten sie genau ein, bedankten sich für die Möglichkeit des Klärungsprozesses und informierten mich stolz, dass die Angelegenheit geklärt sei. In einer Klassenstunde am nächsten Tag wurde der Fall noch einmal kurz erörtert. Insbesondere der Prozess der Konflikterörterung und Lösung stieß auch bei den Schülern, die nicht dabei waren, auf großes Interesse. Einige machten den Vorschlag, dass man diese Form der Problembearbeitung in Zukunft öfter wählen könnte, das sei schließlich auch eine Entlastung für mich als Klassenlehrer.
Das habe ich wie ein Geschenk erlebt und konnte es in diesem Fall auch einmal gut sichtbar annehmen. Die Klassen­fahrt war ein Erfolg: Die Schüler waren während der Fahrt in auffallender Weise füreinander da und ich konnte beobachten, wie sich hier und da sogar neue Freundschaften bildeten. Im Gegensatz zur Köln-Fahrt war ich selbst immer im engen Kontakt mit den Schülern. Es war etwas von dem Geist einer echten Klassengemeinschaft zu spüren.

Rückblick und Perspektive

Die zehn Extrastunden hatten ein Umgehen miteinander erlaubt, welches den schulischen Leistungsanspruch für die Dauer dieser Zeit außer Kraft setzte. Wir können deshalb auch von einer gezielten „therapeutischen Regression“ sprechen, die von mir, dem Internen Coach, als ein methodisches Mittel eingesetzt wurde.
Schon auf der Klassenfahrt deutete sich an, dass sich auch dauerhaft etwas auf die alltägliche Arbeit in der Klasse übertragen hatte. Es ist eine Fähigkeit entstanden, sich den nötigen Raum auch für die persönlichen Dinge holen und gewähren zu können. Erst damit ist eigentlich die Qualität einer Klassengemeinschaft entstanden. Zu Beginn dieser Entwicklung hatte es natürlich auch schon eine Gemeinschaft gegeben. Das Interesse füreinander zeigte sich aber eher in einer demonstrierten, also nicht echten Weise des sich gegenseitigen Wahrnehmens. Es stand meist vor-wegneh­mend fest: Der andere, der sich da gerade meldet, ist es nicht wert, ernst­genommen zu werden. Überhaupt hat es keinen Wert hier mitzumachen –“quäk!“
Interessant ist auch, dass mein eigenes Verhältnis zur Klassengemein­schaft sich mit verändern musste. Der in Gang gebrachte Prozess eines sich gegenseitigen Raumgewährens wurde durch die veränderte Wert­schätzung meiner eigenen Person der Klasse gegenüber entscheidend mitbestimmt.
Die Funktion des Internen Coachs existiert darüber hinaus weiter, auch wenn ich jetzt nur als Lehrer in der Klasse arbeite. Und das insofern, als ich ab und zu, für die Klasse meist unbemerkt, einen „Break“ für mich ma­che, um mein Verhältnis zur Klassengemeinschaft erneut zu befragen. Dann bin ich für einen Moment wieder Coach in meiner Klasse. Und wenn es wieder eine ernstere Störung in der Gemeinschaft oder in der Zusam­menarbeit geben sollte, kann ich auf diese spezielle Form der Bearbeitung mit ihren besonderen Regeln und Grenzen zurückgreifen.


Bildquellen

  • Gorilla: Anonym