Aus eigener Erfahrung – Reflexionen zur Entwicklung

Aus eigener Erfahrung – Reflexionen zur Entwicklung

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Der Stillstand

Und so verging erst mal eine lange „ruhige Zeit“. Die Grund- und Haupt­ausbildung waren schon längst vorbei, das Stu­dium beendet und ein, zwei Jahre funktionierte soweit alles ganz gut. Ei­gentlich verän­derte sich gar nichts. Die Arbeit war auszuhal­ten, die Mädchen über­lebten irgendwie, aber was uns vielleicht hätte weiterbrin­gen können, darauf wusste niemand eine Antwort. Schrecklich, ich glaubte sie ja ir­gendwie zu wissen, aber es reichte, wie ich dachte nicht dazu, jetzt ganz kon­krete Dinge einmal auszuprobieren.

Also ging es halt irgend­wie so weiter, dass alle aushielten und auch ich. Ich hoffte weiterhin auf die große Wende durch eine noch größere theoretische Klarheit offenbar. Aber mit der Zeit wurde die Arbeit mit den jugendli­chen Mädchen auch für mich immer weniger aushaltbar: Die Mädchen tappten na­türlich auch weiterhin von einer “Nicht-Krise“ in die andere, durch Weggänge kamen mir mit der Zeit mei­ne nächsten Kolle­gen ab­handen und schließlich hatte auch ich die Nase voll. Letztendlich hielt auch ich – ebenso wie die Einrichtung selbst – an meiner Nicht-Krise fest. Nur konnte ich das da­mals noch nicht so sehen. Das ging so lange, bis ich einsehen musste, dass ich mich mit meiner Vorstellung über­nommen hatte, die Verhältnisse eines Tages durch einen richtigen Denkan­satz gleichsam mit ei­nem Ruck verän­dern zu können. Mit der Zeit entpupp­te sich die­ses Ver­sprechen als eine Art Selbstbetrug. Aus meiner Sicht hatte ich auf der gan­zen Linie versagt; frustriert und schul­dig, wie ich mich dann fühlte, suchte ich nach einem Ausweg.

Ein merkwürdiger Übergang

Aus heutiger Sicht denke ich, dass ich damals dann etwas für mich eher Un­ge­wöhnliches und Paradoxes getan ha­be: Ich wollte nach wie vor nicht ein­sehen, dass meine Suche nach dem großen Erfolg nicht mit ei­nem Sprung zu bewältigen war, machte mich aber jetzt doch auf die Suche nach den kon­kreten und kleineren Hil­fen. Viel­leicht war ich hier jetzt zum ersten mal halbwegs bereit, kleinere Schritte zu ge­hen, anstatt sie im Vorfeld schon ab­zuwerten. Ich melde­te mich in dieser Zeit wieder beim PSF zur Fortsetzung meiner Weiterbildung an (mir fehlte ja noch der Abschluss) und trat in eine Supervisions­gruppe ein. Gleichzeitig und mit ei­nem großen „Hauruck“, kündige ich meine Stelle, obwohl sie mir gerade im Rahmen der Supervision jetzt vielleicht gute Dienste hätte leisten können.

Und jetzt begann etwas Schleichendes, etwas Nicht-ganz-fassbares, aber sehr Interessantes für mich. Einerseits fühl­te ich mich ziemlich unbedeu­tend: Ar­beitslos und keinen großen Erfolg vor­zuweisen, hatte ich oft den Ein­druck, dass ich mich auf der ganzen Linie ver­rannt hatte. Andererseits hatte ich nun viel Zeit und dank meines Part­ners auch die Möglichkeit, mich mit neuen Ideen auseinander zu setzen. Ich ließ mich also mehr oder weniger einfach treiben und schaute, was denn so kom­men möge.

Ein neuer Stil

Dabei wurde allmählich mein Wunsch, mit dem Gelernten et­was an­zufan­gen, sowie der Wunsch, noch mehr zu ver­ste­hen, immer klarer. Frei­willig und bei­nahe entspannt konnte ich plötzlich an den Supervisionssit­zungen teilneh­men. Mir scheint es fast so, dass ich erst ab diesem Zeitpunkt ange­fangen habe, wirklich etwas von therapeu­tischer Haltung bzw. von Bildanalytik zu be­greifen – und das, welch Wunder, Schritt für Schritt. Das Ver­stehen rannte mir nicht weg, sondern im Gegenteil, es gab ja immer wieder etwas, was ich noch ler­nen konnte. Und so gab es dann vie­les, was mich in den Supervisionen „echt“ interessierte und ich hörte so auf­merk­sam zu, wie es nur ging. Ja, und hin und wieder traute ich mich auch meine un­fertigen Gedanken zu äußern.

So erschloss sich mir zunehmend eine neue Welt, in der, wie ich bemerkte, gerade die unfertigen Gedanken einen besonderen Wert haben und in der man eben nicht vernichtet ist, wenn man mit der eigenen Sichtweise „daneben“ liegt oder nicht ins Schwarze trifft. Es gehört ganz einfach dazu, und bringt – streng genommen – das Verstehen im eigentliche Sinne sogar erst wirklich weiter.

Neue Freude

Allmählich wurde mir klar, dass ich be­raten wollte. Tatsäch­lich! Und dass ich es gerne versuchen würde. Damit begann es mir wirklichen Spaß zu ma­chen, mich mehr mit dem Besonderen unserer psychologischen Sichtweise zu be­fassen, damit zu spielen und auszu­probieren.

Ein klei­ner erster Witz für mich bei die­ser lan­gen Geschichte, das möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, ist die Er­kenntnis, dass Verstehen nur durch Han­deln funktioniert. Dieses Handeln ist ein Schaffen in vielen klei­nen Schritten und geht ständig weiter. Die Schwierigkeit ist nicht das Denken an sich, son­dern dessen Prüfung, in der es darum geht dieses Denken zu erweitern, zu er­neuern oder zu verwerfen. Wie soll das aber ge­hen, ohne das Ge­dachte auch wirklich einmal anzuwenden. Ich wollte und konnte also von nun an nicht mehr darauf war­ten, dass meine Gedanken sich von selbst entwickelten oder dass mir mit einem Knall das große Ver­stehen zu fliegen würde, mit dem ich die Probleme lösen könnte. Ich erkannte, dass ich mich in klei­nen Schritten und durch ein sukzessives Verstehen an die Dinge herantasten musste.


Bildquellen

  • crosswalk-4417371_1280: Johannes Plenio