Aus eigener Erfahrung – Reflexionen zur Entwicklung

Aus eigener Erfahrung – Reflexionen zur Entwicklung

Worum es mir geht

Wer zu uns in die Beratung kommt, will meist zu einem Ver­änderungs­prozess ermutigt und mit seinen Pro­blemen er­kannt und verstanden wer­den. Deshalb ist es wichtig, in aus­reichender Weise Probleme mit Ent­wicklung selbst einmal gespürt und er­fahren zu haben. Aus diesem Grund gibt es ja auch die Eigenanalyse in al­len tiefenpsychologisch ausge­richte­ten Ausbildungen. Der Verände­rungspro­zess, den ein Ausbildungs­kandidat im Laufe seiner Weiterbil­dung durchma­cht, erstreckt sich nicht selten über meh­rere Jahre. Es geht dabei dar­um, die theoreti­schen Din­ge zu erler­nen, die Selbster­fahrungen in den Ein­zel- und Grup­pensitzungen zu ma­chen und um die eigene Fallarbeit unter Su­pervision. Es geht aber auch noch um eine Reihe an­derer Dinge, die in einem etwas wei­teren Umfeld zu den Ausbil­dungsangeboten stehen. Über einen  Ver­änderungsprozess, der besonders die im Berufsfeld gemachten Er­fahrungen und Probleme einbezieht, möchte ich hier einmal aus eigener Sicht be­richten.

Der Start

Als ich noch mehr schlecht als recht an der pädagogischen Fakultät der Universität Köln studierte, ging ich irgend­wann einmal ziemlich gelangweilt am psy­chologischen Seminar vorbei und las mehr aus Verzweiflung, weil mich die universitäre Ausbildung eher wenig interessier­te, ein einfa­ches Blatt Papier, das dort an einer Tür hing. „Zusatzausbildung zum Analyti­schen Berater“. „Na ja“, dachte ich mir so, „da hast du dann noch was anderes als Pädagogik und gleich ei­ne zusätzli­che Qualifikation“. Lernen lag mir nicht beson­ders, ich wollte gerne alles schon können ohne etwas dafür tun zu müs­sen. „Hätte ich nur die Chance dazu, wäre ich sicher schon längst eine tol­le Päda­gogin auch oh­ne Diplom,“ so dachte ich. Grün hinter den Ohren und von Psy­chologie eigentlich nicht den blasse­s­ten Schimmer, meldete ich mich beim PSF an und lauschte erstmals den Tönen unse­res Aus­bilders. Verstanden habe ich beim Erstgespräch wohl kaum et­was. Aber spannend klang das Gan­ze, und neu­gierig war ich dann doch genug.

Die Ausbildung begann mit den Grup­penabenden. Jeden Don­nerstag war ich gespannt auf alles, was es da zu denken gab, und jeden Donnerstag hoffte ich dabei im Erd­boden ver­schwinden zu können. Meine klei­nen Gedanken, die unreif und unfer­tig in meinem Kopf saßen, hielt ich näm­lich so fest wie möglich und wollte sie nicht hergeben. Das wäre zu pein­lich gewesen; schließ­lich wollte ich doch etwas be­son­deres sein und allenfalls beweisen können, was ich schon kann.

Den­noch be­gann sich in dieser Zeit für mich ei­niges zu verändern: Manche Dinge sah ich plötz­lich an­ders, und in meiner Selbsteinschät­zung kam ich ganz schön durcheinander. Gegen letzteres wehrte ich mich natürlich heftig. Was meine Stimmung in dieser Situation wieder hochbrachte war, dass ich etwas Theo­retisches und mir sehr wichtig erschei­nendes zu packen bekam. Nämlich, dass im Rahmen von Entwicklungen eine Krise etwas positives zu bedeu­ten habe und dass das Ver­meiden von Krisen im allgemeinen das Pro­blem sei.

Zur gleichen Zeit

Das war merkwürdig, denn ich ar­beite­te mittlerweile als Er­ziehungs-helfe­rin in einem Kinder­heim, genauer gesagt mit jugendli­chen Mädchen, die  von un­serem Kol­legenteam eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung „ge­nos-sen.“ Hier machte sich mir dieses neuentwic­kelte Denken auch schon bemerkbar: In den Teamsit­zungen ging es oft darum, dass dieses oder jenes Mädchen sich in einer Krise befinde, dass wir Krisenin­terven­tion leisten müssten und um die Frage, wie wir diese Krise nur beenden könn­ten. Am liebsten wäre es uns gewe­sen, sol­che Krisen  gleich von Anfang an dau­erhaft aus der Welt zu schaffen.

Irgendwann sagte ich in einer Teamsit­zung nun aber, dass ich etwas an­ders denke; dass ich glauben würde, es wäre viel wichtiger, die Mädchen überhaupt in eine Krise zu brin­gen. Oh, was hatte ich da nur gesagt? „Wie meinst du das denn?“ fragte man mich. Schon stand ich auf dem Schlauch; mein Gefühl sag­te mir, dass ich richtig denke, aber zu einer Auseinandersetzung mit den Strukturen und Verhältnissen nun im ganz konkreten Stück-für-Stück Auseinanderbröseln, dazu wollte ich es am Ende dann doch nicht kommen las­sen. Ich hielt mich an der Position fest: dass das einzige Problem darin bestehe, dass es mir nicht möglich sei, den rich­ti­gen Gedanken, dass wir nämlich Kri­sen fördern müssen statt sie zu unter­drü­cken den anderen im Heim zu erklä­ren. Ich war mir sicher zu wissen, dass in dem Verhalten unseres Klientels sich etwas anderes zeigt als das, was wir mit einer umbruchsträchti­gen Krise ver­bin­den.  Es ging vielmehr um so et­was wie die pure Verzweiflung über ein Un­vermögen in diesen Situa­tionen so­wie um die fehlende Bereitschaft in eine klären­de Zuspitzung und Krise hi­neinzugehen.  Ich glaubte, mir fehlte nur noch ein Stück­chen Theorie, um die notwendige Überzeu­gungsarbeit unse­ren Heimpsy­cholo­gen gegenüber leisten zu können. Und so hielt ich mich am Ende doch aus dem Ausprobieren der neuen Ge­danken heraus. Solange mir nämlich die sichere, geniale Antwort oder Ar­gumentations-weise noch nicht einge­fallen war, konnte ich meinen An­sprüchen gemäß, noch nichts ma­chen. Zu gerne hätte ich damals die große Antwort gewusst und mit einem Ruck die gesamte Lage verändert. Aber das war ja gerade das Verhäng­nisvolle mei­ner Methode: dass ich mich „potentiell“ ganz schön überle­gen füh­len konn­te, ohne gleich auch schon den Beweis eines ausreichen­den Verste­hens antreten zu müssen.


Bildquellen

  • crosswalk-4417371_1280: Johannes Plenio