Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

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Strukturmodell als Grundlage

Wie sieht das Geschehen einer Psychotherapie aus, wenn wir es unter einer strukturellen Perspektive betrachten und was erfahren wir dabei zu unserem Thema?
In einer Psychotherapie geht es darum, vorhandene Veränderungsspielräume in der Lebenswirklichkeit eines Klienten erfahrbar und verfügbar zu machen. Veränderungen im Leben stellen wir immer wieder her und zwar dadurch, dass wir in Abwandlungen und nicht immer in gleicher Weise auf die Herausforderungen unserer Wirklichkeit eingehen. Jeder Mensch hat dabei bestimmte Spielräume, in denen sich diese Änderungen bewegen. Manchmal sind diese auch auf eine merkwürdige Weise eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt, so als wären sie eigentlich nicht mehr im Spiel.

Eine Psychotherapie gibt dem Klienten die Gelegenheit, seine gelebten Methoden und die tragenden Muster seines Erlebens und Verhaltens auf die Bühne eines mit dem Therapeuten geteilten „psychotherapeutischen Geschehens“ zu bringen. Auf dieser Bühne findet eine beziehungsstrukturelle Arbeit statt, die den Klienten und den Therapeuten wie in einer Zwischenwelt miteinander verbindet. Diese Welt hat eigene Regeln. Hier sind Prozesse möglich, die in der „normalen Welt“ nicht funktionieren. In diesem geschützten Rahmen findet eine Übertragung der Muster aus dem Leben des Klienten statt. Diese entfalten hier aber nicht den gleichen Druck, der in der normalen Realität von ihnen ausgeht. Der Therapeut als Mitspielender erfüllt mit seiner besonderen Art des Eingehens nicht genau die Erwartungen, die das Muster an sein Gegenüber zu stellen scheint. Er geht vielmehr auf die meist ungesehenen Abwandlungsmöglichkeiten ein, die als Fortsetzung in dem zwingenden Muster ebenfalls mit enthalten sind. Auf diese Weise spielt der Therapeut, wenn auch indirekt, den zunächst für sich selbst gefundenen Spielraum an den Klienten zurück. Dadurch lockert sich für letzteren die Enge des eigenen Vorgehens und „Systems“. Es können Überlegungen und Experimente freigesetzt werden, die in Richtung Neubewertung gehen und veränderte Verarbeitungs- und Eingehensformen einleiten. Veränderungsspielräume werden erfahren, die bis dahin nicht wahrgenommen werden konnten. In einer Therapie wird eine solche, zunächst einmalige Erfahrung, im Weiteren durch ein bestimmtes Maß an Wiederholung vertieft. Eine ergänzende Form der Absicherung erfolgt aber vor allen Dingen durch die Verdichtung des Neuerfahrenen in einem schlüsselhaften Erlebnis oder Gleichnis (z.B. über ein Märchenbild verbunden mit dem einen oder anderen bedeutungsmächtigen Erinnerungsbild). Das hilft dem Klienten, mehr und mehr die komplizierten Zusammenhänge, in denen er verstrickt ist, zu überschauen. Es ermöglicht ihm, die selben Zusammenhänge auch außerhalb der Therapie zu sehen und für sich nutzbar zu machen.

Es findet aber noch eine weitere Form der Absicherung des Neuerfahrenen statt. Diese besteht in einer expliziten Nutzung des Zu-Ende-Bringens einer Therapie: Therapeut und Klient müssen die fallspezifische Form des jeweiligen Therapie-Endes noch einmal auf die Problematik des Falles selbst und auf die neu erfahrenen Veränderungsspielräume hin übersetzen. Dies verhindert zunächst einmal, dass mit dem Ende eine Erfahrung gemacht wird, die dem Neuerlernten in der Therapie eventuell entgegensteht. Und eine solche Schlusserfahrung kann überaus negative Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit des neu Erworbenen haben. In der Trennungsphase der Therapie wird, ob gewollt oder nicht, das gelebte Muster des Falles mit seinen neu entdeckten Möglichkeiten noch einmal auf eine besonders nachwirkende Weise auf die Bühne gebracht.


Bildquellen

  • Rapunzel: Walter Crane