Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

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Bildanalytische Akzentsetzung

Auf diese Notwendigkeit, das Ende einer Therapie und seine jeweils besondere Form ernst zu nehmen, möchte ich im Folgenden etwas genauer eingehen. Hierzu nehme ich Bezug auf den Grundgedanken der bildanalytische Psychotherapie, man könnte auch sagen einer Entwicklungstherapie im engeren Sinne. Eine bildanalytische Therapie folgt in ihrem Funktionieren natürlich den allgemein in einer Psychotherapie wirkenden strukturellen Zügen. Die konkrete Umsetzung derselben folgt dabei allerdings einem eigenen Prinzip, welches man das Prinzip des „Um- oder Nachschaffens“ nennen könnte. Die bildanalytische Psychotherapie geht davon aus, dass jeder Sinn und jede Deutung immer erst aus der letzten Position eines tatsächlich geschaffenen Ganzen hervorgeht. Erst das Ganze eines gelebten Zusammenhangs gibt dem Vorangegangenen seinen Sinn; es deutet von seiner aktuellen Realität aus in die Richtung des Gewesenen zurück und gibt ihm von der Beschaffenheit seines Hier und Jetzt her Sinn. Am Ende können wir mit dem Blick des Gewordenen sagen: „Ja, so habe ich es gewollt“ (Fr. Nietzsche, 1883).

Vielleicht sollten wir uns das Prinzip an dem Beispiel eines Lebensverlaufes deutlich machen. Denken wir uns einen Menschen, der sich auf sehr vielen Gebieten betätigt. Er versucht, nirgendwo etwas zu verpassen und, salopp gesagt, ist er bekannt als „Hans Dampf in allen Gassen“. Nehmen wir weiterhin an, dass er ein besonderes Talent besitzt, welches zu entfalten ihm aber ein recht großes Maß an Muße und Beständigkeit abverlangen würde. Die Entfaltung dieser vielleicht schriftstellerischen Fähigkeit bleibt aber hinter den anderen Dingen zurück. Wenn dieser Mensch jetzt z.B. durch einen schweren, irreparablen Rückenschaden dazu gezwungen wird, fortan alle Arbeit im Sitzen zu verrichten, würde das einen großen Einschnitt in die bisherige Form seiner Lebensführung bedeuten. Nehmen wir weiter an, dass seine rege Tätigkeit mit häufigem Ortswechsel und mit einer Vielzahl an gesellschaftlichen Begegnungen auf den verschiedensten Bühnen verbunden war. Es gibt nun zwei verschiedene Weiterentwicklungsmöglichkeiten: Die eine besteht in dem Versuch, die besondere Natur des „Hans Dampf in allen Gassen“ beizubehalten. In diesem Falle könnte er versuchen, z.B. das Internet als kompensierendes Medium einzusetzen. Er würde seine Geschäfte derart umgestalten, dass sie sich mit Hilfe des neuen Mediums gleichsam im Sitzen organisieren lassen. So könnte es ihm vielleicht gelingen, auf den verschiedensten Feldern seines Wirkens auch weiterhin mit dabei zu sein. Eine andere Wendung der Entwicklung könnte so aussehen, dass der Betroffene in diesem Falle die ungewollte Bewegungseinschränkung im Sinne einer Weiterentwicklung seines bisher nur wenig geförderten schriftstellerischen Talentes nutzt. Er nimmt sie dann als eine Erleichterung dazu an, das nötige Sitzfleisch zu entwickeln. Nun kann es geschehen, dass er mit dieser Entwicklung erfolgreich ist und eine Größe innerhalb der Literatur wird. Das Ereignis des Rückenschadens wird in diesem Falle eine andere Bedeutung erhalten als im Falle einer Fortsetzung des gelebten Prinzips (Beibehaltung der Geschäftigkeit durch eine Übersetzung auf ein anderes Medium z.B. Internet). Das jeweilige Ende der Entwicklung gibt dem Ereignis je einen anderen Sinn und lässt den Betroffenen mit einem gewissen Stolz am Ende hoffentlich sagen, „ja, so habe ich es gewollt.“


Bildquellen

  • Rapunzel: Walter Crane