Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

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Das Umschaffen als Prinzip

Ob wir dieses Prinzip des Nach- oder Umschaffens im Seelischen anerkennen wollen oder nicht, es hat seine Folgen. So werden wir eine Übergangssituation in ihren Chancen anders und höher einschätzen, wenn wir davon ausgehen, dass der Sinn eines aktuellen Ereignisses nicht schon vorher existiert, sondern sich in den nachfolgenden Taten und Werken erst noch finden oder gar erst noch erfinden muss. Menschen, die sich systematisch in einer psychichen Einschränkung eingerichtet haben, scheinen die Fähigkeit zu einer solchen Wertschätzung derartiger Übergänge allerdings nicht oder nicht mehr zu besitzen. Die bildanalytische Psychotherapie geht davon aus, dass die genannte Fähigkeit, dort wo sie fehlt, methodisch entwickelt bzw. nachentwickelt werden kann.
Die Psychotherapie bildanalytischen Zuschnitts hat ihren besonderen Stil darin, alles das zu unterstützen, was die Entwicklung einer solchen Haltung fördert oder weiterbringt. Die Therapie von Sitzung zu Sitzung ist selbst ein Gleichnis dafür, dass in einem Verlauf etwas entsteht, was seinen Sinn erst von Mal zu Mal erfährt, indem der Fortgang der Therapie aus dem Gewordenen der letzten Stunde etwas macht. An diesem Gleichnis lernt der Klient. Das Prinzip, um das es dabei geht, stellt heraus, dass sich Sinn oder Bedeutung erst im Überschreiten herstellt: Ein einzelnes Geschehen schafft die Bedeutung aller Einzelheiten um. Es löst die Sinn stiftende Bedeutung des bisher gegebenen Zusammenhangs auf und schafft von seiner eigenen Position aus einen neuen Zusammenhang bis in die Einzelheiten hinein.

Die Bedeutungswandlung hat eine Logik, die in ihrer Form an eine Zeitumkehrung erinnert: Nicht das Erste bringt das Zweite hervor, sondern: Das Erste wird durch das Zweite erst erschaffen. Letzteres ist unter Bedeutungseinheiten tatsächlich so, auch wenn das etwas merkwürdig klingen mag: Das zeitlich Zweite gibt dem Vorangegangenen erst seinen Sinn und bringt es in seiner jeweiligen Bedeutung erst hervor. Die Dinge sind immer das, was sie vom Ende her sind. Zur Wirklichkeit der psychischen Zusammenhänge, die in Bedeutungen besteht, passt eine deterministische Interpretation nicht: Psychische Zusammenhänge überschreiten sich vielmehr unentwegt selbst und legen sich dabei von Fall zu Fall mmer wieder neu aus. Das ganze geschieht wie von einem sich immer wieder verändernden Ende her. In einem solchen Umfeld macht es wenig Sinn, von einer deterministischen Wirklichkeit auszugehen.


Bildquellen

  • Rapunzel: Walter Crane