Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

Strukturelle Bedeutung von Therapieabschlüssen

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Bindungsmacht der Zwischenwelt

Kehren wir noch mal zum Verständnis eines allgemeinen Funktionierens von Psychotherapie zurück: Das Gelingen seelischer Veränderungen liegt vor allen Dingen darin begründet, dass die neuen Erfahrungen in einem beziehungsstrukturellen Medium stattfinden: Teilfunktionen eines komplexen neuen Handlungsgeschehens, an dem der Klient bzw. Patient arbeitet, werden übergangsweise vom Therapeuten übernommen. Auch das, was dem Klienten zwischen den Sitzungen umzusetzen gelingt, bleibt durch den Kontext der noch laufenden Therapie bestimmt. Die Zwischenwelt der Therapie ist wie unsichtbar immer mit im Spiel. Auf alles, was sich einstellt, fällt der Blick derselben, egal ob die entsprechenden Dinge in den Sitzungen explizit behandelt werden oder nicht. Der Therapeut und die sich entwickelnde gemeinsame Arbeit tragen das aktuelle Geschehen auch außerhalb der Therapie auf eine vielfältige Weise mit.
Die für sich alleine noch nicht „lauffertigen“ Neuansätze des Klienten, die auf eine Erweiterung der Veränderungsspielräume hinauswollen, erhalten in einem solchen geschützten Rahmen eine Chance, sich in die Realität zu wagen, obwohl sie doch noch nicht reif und fertig sind. Das Ganze gleicht dem Erfahrungen-machen in der sehr frühen Zweierbeziehung zwischen Kleinkind und Hauptbezugsperson. Allerdings wächst in der Gemeinsamkeit der therapeutischen Arbeit das noch ungeformte Einfache zu einer Gestalt heran, die sich dann an das Alleine-Machen heranwagen muss. Das wirkt wie eine Kehrseite, die im beziehungsstrukturellen Lernen liegt. Es kann zu einer Verselbstständigung der gestützten Formen kommen, die der Klient nach der Therapie dann in verwandten Arbeitsteilungen nachzubilden versucht. Dann ist er gleichsam von der Therapie abhängig geworden und überträgt das Neuerfahrene aus der Zwischenwelt so, als ob diese weiterhin bestehen bleiben könnte. Er bildet ein Weiterleben der „Übergangskonstruktion Therapie“ nach. Erforderlich ist also nicht die formal korrekte Beendigung einer Therapie sondern ein Ende, das eine echte psychische Ablösung des Klienten vom Therapeuten und umgekehrt darstellt.

Der Therapeut muss sich in dieser Situation einer Wirklichkeit stellen, die ihn jeglicher Korrekturmöglichkeiten beraubt. Sein Teil ist geleistet. Er muss in eine Wirklichkeit einwilligen, die ihn ab jetzt nicht mehr fragt, wie er es denn gerne noch zusammen mit dem Klienten umgeschaffen hätte. Ab jetzt unterstellen sich beide einem Dritten, einer Realität, die sie nicht mehr wie in der Zwischenwelt bisher in der Hand haben. Das verbindet beide für einen kurzen Augenblick auf eine ganz neue Art und Weise und stiftet ein Gefühl des Neubeginnens in der Trennung. Der Vorgang kann die Bedeutung einer Initiation einnehmen.

Der Schutz einer Zwischenwelt, den der Therapeut auf seine Weise auch selbst genossen hat, muss am Ende von beiden Seiten aufgegeben werden können. Auch der Therapeut muss diese Ablösung leisten. Die gemeinsame Welt der Therapie hat ihm abkürzende Wunscherfüllungen zukommen lassen, und umgekehrt auch einiges vorenthalten, was nur in einer „normalen“ Beziehung, bei einem „gleich zu gleich“ erfahrbar wäre. Er muss sich daraus befreien und tut damit etwas für sich und seine Psychohygiene. Das kann der Klient erspüren und wie eine Entlastung auch für sich erfahren.

Das Neue kommt wie im Sprung

Der Therapeut verrichtet eine Arbeit, die keineswegs als invasiv oder eingriffig typisiert werden kann. Bezogen auf den Prozess im Ganzen, und unter einer bestimmten Perspektive, trifft diese Kennzeichnung aber dennoch zu. Und das hat folgenden Grund. Der Therapeut ist mit dem Klienten durch die gemeinsame Arbeit auf der „therapeutischen Bühne“ über weite Strecken in einer notwendig unscharfen Arbeitsteilung verbunden. Es lässt sich nicht immer genau ausmachen, welche Funktion der Therapeut in einem auf die Bühne gebrachten Geschehensmuster gerade eingenommen hat. Anders ist es mit der Steuerung des Prozesses im Ganzen, wenn wir also Abstand nehmen und auf das Rahmende des Ganzen schauen. Der Therapeut muss nämlich immer wieder eine Metaposition einnehmen und das bisher Geschehene für den Klienten und für sich übersetzen in ein nachschaffendes „Ja, so habe ich es gewollt“. Der Therapeut ist also derjenige, der dafür sorgt, dass das Vergangene immer wieder auf das Neu- Erfahrene hin einen Sinn erhält. In Bezug auf diese Tätigkeit steht der Therapeut tatsächlich eher einsam und alleine da. Er ist, bezogen auf die Rahmung des Ganzen gleichsam der Dirigent und stellt das Therapeutische sicher. Am Ende einer Therapie muss der Klient den Therapeuten in seiner Nachschaffenskunst gewissermaßen ersetzen können. Schafft der Klient es nicht, das mit Unterstützung Erreichte zu verinnerlichen und zu etwas sich Selbsttragenden zu vervollständigen, kommt er nicht los von der Therapie, auch wenn diese äußerlich korrekt abgeschlossen wurde. Er wird dann vielleicht versuchen, das Spiel mit dem Therapeuten auch außerhalb der Therapie zu wiederholen. Er könnte versuchen, bestimmte Anteile seiner Methode, die der Therapeut in der gemeinsamen Arbeit über weite Strecken mitgetragen hat, nun auf andere Hilfspersonen zu übertragen.

Die angesprochene Haltung, die in der Ablösungsphase erforderlich ist, entsteht allerdings nicht nach und nach. Die neue Haltung kommt vielmehr in einem Gestaltsprung zustande, auch wenn hierzu eine lange Entwicklung vorangehen muss. Dieser Gestaltsprung muss aber noch innerhalb der Therapie stattfinden. Darauf ist eine strukturell funktionierende Psychotherapie angelegt. Die beste Gelegenheit hierzu ist die Gestaltung des Therapie- Endes. Der Klient bringt ein passendes Ende in die Therapie hinein, was vom Therapeuten als solches nur noch anerkannt werden muss. Er muss ohne die suggestive Unterstützung des Therapeuten spüren können, dass seine Art, die Therapie zu beenden, der gewonnenen Erkenntnis aus der eigenen Therapie auch genau entspricht. Und das heißt dann auch, dass sein Schlussstrich in der Therapie dem gemeinsam Entwickelten Recht gibt und zu der bisherigen Entwicklung sagt: „Genau so habe ich es gewollt“. Das kommt einer Entlastung des Therapeuten gleich, die der Klient ihm gegenüber „ausspricht“. Das Geschehene spricht für sich. Und die Entwicklung, auf die es die Therapie angelegt hat, kann so mit einem guten Gefühl in die Offenheiten der normalen Welt hinein entlassen werden.


Bildquellen

  • Rapunzel: Walter Crane