Plädoyer für einen Entwicklungstherapeutischen Fachverband
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System und Gefühl sollen zusammengehen
Die tiefenpsychologischen Schulen sind alle auf den theoretischen Ansätzen Sigmund Freuds aufgebaut. Dadurch sind sie auch alle erfüllt von einer bestimmten Idee, nämlich, dass es machbar ist, unser wissenschaft-liches Bedürfnis nach System (und Ordnung) mit dem zusammenzubringen, was wir unter den Affekten eines Menschen, unter seinem Gefühlsleben und seinen Erlebensweisen verstehen. Freud zeigte auf, dass es eine Ordnung in den geschichtlichen Prozessen von Erlebnissen und ihren Verarbeitungen gibt. Seine Modellbildungen suchten das festzuhalten und zum Mittelpunkt einer neuen Wissenschaft zu machen. Das war ein kräftiger Impuls. Das Problem Freuds war es nun, und das zeigen seine ersten Modellvorstellungen deutlich, eine passende Sprache zu finden und die passenden Gleichnisse für eine Theorie, die es erlauben würde beides (also System und Erleben) auch wirklich in einem zu denken. Wenn das nämlich verfehlt würde, drohte das Neue dieser spannenden Wissenschaft ganz einfach wieder in einer einfachen Alltagspsychologie oder in einer, sich aus der Physiologie ableitenden Lehre verloren zu gehen.
Dieser schwierigen Aufgabenstellung für die Weiterentwicklung seiner Theorie verdanken wir weitestgehend allerdings auch die sich verselbständigende Auseinanderentwicklung in der gemeinsamen Sache, der zur Folge nicht zuletzt die vielen Schulen entstanden. Alfred Adler z.B. fand, dass sich das Sexuelle zu sehr als eine Erklärungseinheit verfestigt hatte und entwickelte ein Verständnis vom Seelischen nach Art einer Konstruktion, die mit weniger materialer Festlegung auskommen sollte. C.G. Jung hingegen sah in dem individuell jeweils festgelegten Unbewussten eine unpassende Verfestigung, brachte das kollektive Unbewusste mit seinen Bildern und Mythen ins Spiel und schuf damit eine weitere Modellvorstellung. Die sogenannten Abspaltungen und Neuentwicklungen von Schulen lassen sich auch als eine Art von Selbstbehandlungsversuch der Tiefenpsychologie verstehen, welche darum bemüht ist, die jeweiligen Verfestigungen als Verfehlungen des mit der Tiefenpsychologie aufgekommenen Anspruchs durch Neuansätze und Variationen aus der Welt zu schaffen.
Erfolglose Versuche, aus einem Dilemma herauszukommen
Ein neues, besseres System sollte jeweils die Probleme beseitigen helfen. Die Alternative, den Systembegriff einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen und dem Ziel entsprechend vielleicht nach etwas Drittem und Anderem zu suchen, was den Ansprüchen einer Vermittlung von Ordnung und Gefühlshaften entsprechen würde, hatte weniger Konjunktur. Dadurch gerieten die Lösungsversuche dieser Art von Selbstbehandlung aber selbst in die Nähe von einer „Symptombehandlung“, und es konnte sich in bezug auf das allgemein verspürte Schulen- und Aufspaltungs-problem auf diese Weise keine grundsätzliche Veränderung einstellen. Natürlich wurde vieles versucht und entwickelt, darunter vieles was Beachtung und Anerkennung verdient. Wenn man aber die Leidenschaft am Gemeinsamen zum Maßstab nimmt, erscheint alles zusammengenommen wie ein großer Aufwand an der falschen Stelle. Gefehlt hat bisher eine Krise, welche den auf allen möglichen Ebenen geleisteten Aufwand einmal selbst zum Inhalt hat. Die von der Gründung eines Entwicklungstherapeutischen Fachverbandes ausgehenden Impulse könnten u.a. mit dazu beitragen, eine solche Art von fruchtbarer Krise in Gang zu bringen.
Und nun noch einmal zurück zu dem, was wir in der Theorie Freuds als den wesentlichen Impuls und Anstoß ansehen müssen, verbunden mit der Frage danach, wie das darin eingeschlossene Problem denn zu lösen wäre.
Bildquellen
- stress-624220_1920: Steve Buissinne