Plädoyer für einen Entwicklungstherapeutischen Fachverband

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Stichwort: Erleben  und System

Das Erleben hatte ja immer schon eine aner­kannte Bedeutung z.B. in der Er­ziehung oder bei der Bildung eines Charakters. Dass Erlebnisse und bild­hafte Zusammen­hänge als Leitfaden für die Behandlung körperli­cher Stö­rungen manchmal besser waren als die von der Physik und Physiolo­gie an­gebotenen Erklärungen, das war schon be­eindruckend. Dieses Denken war aber auch nicht mehr so ganz neu, denn es gab ja schon ähnliche Erfahrun­gen, z.B. die Beob­achtungen von gezielten Einwir­kungen durch Hypnose und überhaupt die Erfahrung der Spontanheilung im Zusam­menhang mit be­sonderen Erlebnissen. Kein Arzt hätte geleugnet, dass es heilen­de Wir­kun­gen durch Erlebnisse gibt. Zu etwas ganz Neuem wurden die Behandlun­gen Freuds erst dadurch, dass er mit Kon­sequenz versuchte, die Wertschätzung des Erlebten und Gefühlten mit dem beste­henden Bild von Wissenschaft in Überein­stimmung zu bringen: Er versuchte dem Zeitgeist entsprechend zu zeigen, dass sich Seelisches wie ein System verhält, wenn auch wie ein selt­sames System, wie er es uns in der Logik des Unbewussten mit sei­nen para­doxen Gesetzen zur Darstellung gebracht hat.

Mit Freuds ersten Systematisierungen drohte allerdings auch die Gefahr, dass die gerade erst neu gewonnene Einsicht in die Natur der psychischen Dinge auch wieder verloren gehen könne. Der neue Blick ei­ner Tiefen­psy­chologie sagte nämlich: Die seeli­sche Wirklichkeit organisiert sich in Bil­dern, also in Gleichnissen und Analogi­en, und nicht in Systemen. Es besagt, dass sich auch unser Verstehen in Bildern voll­zieht, also in Gleichnissen und Analo­gien und auf keinen Fall in Systemen. Das war die grundlegend neue Erfah­rung und Set­zung, die aller weiteren tiefenpsychologischen Theoriebil­dung erst einmal voraus­geht. In dieser Erfahrung und Set­zung liegt gerade das von der Sache her Gemeinsame, und zwar für alle im weiten Sinne ent­wick­lungsorientiert arbeitenden Berater und Psy­chologen.

Während die Bedeutung dieser Gemein­samkeit in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr und mehr verloren zu gehen drohte, hätte man als eine Therapie der ge­meinsamen Sache nun verstärkt nach ei­nem Bild von Psyche suchen müssen, wel­ches mit der neuen „tiefenpsychologisch“ zu nennenden Erfah­rung besser in Ein­klang zu bringen gewe­sen wäre. Statt des­sen wurden aber immer wieder neue Syste­me geboren, die jeweils ver­sprachen, von den bereits bekannten Sy­stemzwängen bzw. deren Verselb­stständigungen zu be­freien. Das Fehlen eines solchen Bildes, was uns ein Ver­ständnis jenseits eines Ge­gensatzes von Erleben und System erlau­ben würde, brachte uns schließlich auf das Gleichnis des „Bildverstehens“. Im „Bildverste­hen“ ist das Bild gefunden, das der neuen Erfah­rung gerecht wird: See­li­sches ver­steht sich in Bildern, Seelisches ist das „bild­hafte sich Verstehen“ der Wirk­lichkeit selbst. Es ist deshalb nicht ir­gend­wo in dem Menschen drin, es ist auch nicht abstrakt auf etwas Konkretem drauf­gesetzt oder hinter einer Sa­che stehend. Es ist das Bild (das Gleich­nis) der jeweiligen Sache selbst.


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