Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

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Respekt und Würde in Not

Der „kriminelle Aufstand“ gegen die tragende soziale Ordnung fordert immer auch Unterdrückungsmächte heraus. Die beharrliche Entschiedenheit unse­rer Kultur, das Oberwasser nicht dem Dissozialen zu überlassen, ist gleich­sam ein Plädoyer für den Erhalt unserer soziokulturellen Werte. Dort, wo sich Krimina­lität offenbart, wird sie oft mit Nachdruck durch sanktionierte Gegengewalt bekämpft. Ein genauer Blick auf diesen Kampf lässt erken-nen, dass im Dienste der Rache stereotyp auch dort sanktioniert wird, wo thera­peutische Kultivie­rungsangebote manchmal mehr ausrichten können. Hier ist eine ge­naue Un­terscheidung notwendig, ob nicht bei dem einen oder anderen De­linquenten eine So-zialtherapie oder eine Psychotherapie die Alternative wäre.

Wenn ein krimineller Lebensstil sich so weit verfestigt hat, dass die darin ent­haltene Rebellion gegen die soziale Ordnung zum Lebensprinzip geworden ist, hat auch die Kultur mit ihren Beeinflussungsmöglichkeiten (Therapien) nicht mehr viele Chancen. Sie versucht, die Bedrohlichen dann nur noch niederzu­halten. Die damit ver­bundene „Verwahrung im Gefängnis“ dient so ausschließ­lich dem Schutz der Allgemeinheit. Sie ist eine kulturelle Notwehr und in ihrer Ag­gres-sivität der Niederhaltung krimineller Täterschaft angepasst. Jedoch auch hier darf gegenüber den so in Gewahrsam Genommenen der Respekt für die Art ihres Menschseins nicht abhanden kommen. Würde die Kultur hier ebenso krimi­nell zwischen Mensch und Untermensch („Abschaum“) spalten, erwiese sie sich in gleicher Weise als dissozial.

Das besondere Problem und eine typische Notlösung

Die Bestrafung und Verwahrung der Straftäter findet abgetrennt vom normalen Leben statt und der normale Bürger kommt nur sehr selten damit in Berührung. Die Men­schen, die aber im Strafvollzug arbeiten, als Bewacher oder als Fachleute mit sozialen oder psychologischen Aufgaben, müssen mit dieser besonderen Herausforderung täglich umgehen. Wie schaffen sie das? Sie müssten die gefühlsmäßigen Zwiespältigkeiten durchgehend aushalten können und sich auf einen Dauerkonflikt einlassen, wollten sie immer in vollem Kontakt mit den Zweischneidigkeiten eines Strafvollzuges sein. Die Gesellschaft im Ganzen hilft sich hier durch eine Trennung in zwei Bereiche, so dass der normale Alltag von dem lebendigen Vorhandensein des Kriminellen und der gesellschaftlichen Behandlung derselben unberührt bleiben kann. Wir müssen davon ausgehen, dass auch der Bedienstete in den Gefängnissen sich durch den einen oder anderen seelischen Kniff zu helfen weiß. Ein nicht selten anzutreffender Fall dürfte die Lösungsform einer ideologisierenden Verarbeitung sein. Der Betref­fende teilt dann die Anstaltsrealität für sich ebenfalls in zwei Bereiche ein: Es gibt die mit ihm in Verbindung stehenden progressiven und guten Kräfte auf der einen Seite und die reaktionären Kräfte auf der anderen Seite. Der Betroffene versucht, sich aufwändig und in vielerlei Hinsicht aufopferungsvoll für eine menschenwürdigere Behandlungsweise der Gefangenen einzusetzen und kämpft gegen diejenigen, welche einen Fortschritt in der menschlicheren Behandlungsweise ständig behin­dern oder gar unterbinden wollen. Eine solche Verarbeitung „erlaubt“ es dem betreffenden Mitarbeiter, die von ihm beklagte Unterdrückung der Ge­fangenen auf der einen Seite mitzumachen (denn der Betreffende muss sich ja den Weisungen der Anstaltsleitung fügen) und sich gleichzeitig von einer direkten Schuld freizumachen: Lässt der Betreffende sich doch so aufopferungsbereit auf einen nicht enden wollenden Kampf gegen die behindernden Kräfte ein, mit dem Ziel eines menschlicher werdenden Vollzugs.

In den ersten Jahren meiner Tätigkeit im Gefängnis habe ich auf eine ähnliche Weise versucht, die mit der Arbeit zusammenhängenden Zwiespältig-keiten in den Griff zu bekommen. Eine solche Lösungsform hat aber, in Bezug auf die Zu­sammenarbeit mit den Gefangenen, auch ein besonderes Problem. Auf intui­tive Weise erkennt nämlich der typische Gegängnis-Insasse die Gefühlslage des für die gute Sache kämpfenden Helfers. Er erkennt das grundlegende Gefühl der Schwäche dahinter und verachtet möglicherweise sogar die mit kämpferischem Aufwand geleisteten letztendlichen Misserfolge des Bedienste­ten. Wahrscheinlich kann er sogar eine hilflose Ablenkung des Betroffenen von dieser Schwäche erkennen, zu welcher der Bedienstete nicht in einer einfachen Weise stehen kann. Ich denke mir, dass der solcherart wahrneh­mende Gefangene sich wie jemand fühlt, der die Achillesferse des verstrickten Helfers kennt und dieses Wissen gegebenenfalls zu seinem eigenen Nutzen verwenden kann.

Eine dramatische Erfahrung und Bewährungsprobe

Ich bin selber einmal in das Schussfeld eines solchen Gefan­genen geraten. Und so stand mir auf einmal eine echte und wie ich heute weiß, für meine berufliche Entwicklung auch entscheidende Bewährungsprobe bevor, von der ich im Folgenden berichten möchte. Es geht dabei um die Begegnung mit einem Häftling, dessen Lebensstil sich stark kri­minell verfestigt hatte. Ich wollte ihn als Anstaltspsychologe „unter Kon­trolle“ bringen, um das Kriminelle in ihm zu bannen. Er jedoch drehte diesen Spieß einfach herum, indem er mich mit seinen Mitteln zu beherr­schen trachtete. Es ent-wi­ckelte sich für mich eine Situation, die ich sowohl beruflich als auch in sonstiger Hinsicht für mich als existentiell bedrohlich erlebte. Sie ließ mir nur die Möglich­keit, entweder den Ausweg einer entwürdigenden Flucht zu wählen oder mich unter einer nicht zu verhindernden Lebensgefahr einer be-stimmten Herausforderung am Ende zu stellen. Einen dritten Weg gab es nicht. Diesem Inhaftierten verdan­ke ich eine tiefe Erfahrung im Umgang mit den „Kriminellen“, von der ich im Folgenden wegen der besonderen Spannung, die in ihr enthal­ten ist, in einer erzählerischen Form berichten möchte.


Bildquellen

  • GB: Gerhard Böttcher