Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

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Drohung und Konfrontation

An einem späten Nachmittag saß ich in meinem Dienstzimmer jener Justiz-voll­zugsanstalt, in der ich als Anstaltspsychologe tätig bin. Ne­ben anderen Schrift­stücken lag auf meinem Schreibtisch noch der un­geöffnete Brief, den mir ein Gefangener am Vormittag mit den knap­pen Worten: „Bitte bald lesen“, vorbeige­bracht hatte. So flink wie mir der Überbringer diesen Brief übergab, so flink hatte er sich auch wie­der von mir abgewandt und war seines Weges gegangen. Inso­fern hatte ich nichts Näheres dazu fragen können. Ich betrach­tete die­sen Brief nun genauer und mir fiel auf, dass er von innen mit zwei Pappscheiben ausgefüllt war. Ich hielt ihn gegen das Licht. Nicht der geringste Schriftzug war zu erkennen. Ein seltsamer Brief. Ich riss den Umschlag auf und las. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Der Brief enthielt eine Warnung: Ein wohlgeson-nener Gefangener schrieb mir, ich solle auf der Hut sein vor einem Mordanschlag gegen mich. Nähere Angaben wurden nicht gemacht.

Ich hielt den Brief in den Händen – innerlich erstarrt. Das hatte es in meinem Leben noch nicht gegeben: eine Morddrohung! Und ich wusste plötzlich genau, welcher Gefangene mir drohte: Zickelmann! Nur um ihn konnte es sich han­deln. Ich zeigte meiner Praktikantin den Brief. Betretenes Schweigen. Zickel­manns Straftaten waren mir teilweise bekannt. Ich zog jedoch zur genaueren Information seine Personalakte hinzu. Da stand zu lesen: Metzger von Beruf. Bislang 20 Vorstrafen, quer durchs Gesetzbuch. Mit dem Messer in der Hand verschaffte er sich oftmals Eintritt in Nachtlokale nach der Sperrstun­de. Weiter stand zu lesen: gefährliche Körperverletzungen, Verurtei­lungen wegen schwe­ren Diebstahls, Hehlerei, Förderung sexueller Handlungen an einer Minderjäh­rigen. Ein psychiatrisches Gutachten, an das ich mich in diesem Moment erin­nerte, nannte ihn einen „explosiblen Psychopathen“. Zur Zeit war er wegen „versuchten Tod­schlags“ inhaftiert. Er hatte entdeckt, dass seine Frau ihn betrogen hatte und sich anderen Männern anbot. Als Reaktion darauf zog er sie am helllichten Tag aus einem Taxi heraus und stach blindwütig auf sie ein, 27 Messerstiche gegen sein Opfer. Die Frau konnte gerettet wer­den, weil so­fort ärztliche Hilfe zugegen war.

Dieser Mann hatte es nun auf mich abgesehen. Aber warum war gera­de ich das Ziel seiner Aggression geworden? Ich hatte mich vor kur­zem gegen seine Verlegung in eine offene Anstalt ausgesprochen und zwar gegen den Wider­stand einiger Mitarbeiter, die meines Erachtens seine Gefährlichkeit unter­schätzten, in Wirklichkeit jedoch wohl eher seinen aggressiven Druck und seine Erpressungen fürch­teten und ihn daher schlicht loswerden wollten. Ich hatte Zickelmann damals gesagt, er sei eine „tickende Zeitbombe“. Worauf er mir geantwortet hatte: „Ja“, er sei die Bombe und ich der Zünder. Mein klares „Nein“ zum offenen Vollzug musste der Anlass ge-wesen sein. Vorher war er ein paar Mal zu mir zur Bera­tung gekommen und hatte mich einmal einen „besonders vertrauens­würdigen Menschen“ genannt. War meine Gegenstimme zur Haft­lockerung nun ein Verrat für ihn, den er an mir rächen wollte? Oder beinhaltete seine Drohung einen Erpressungsversuch ohne besonderen Hintergrund?

Da saß ich nun, ein diplomierter Psychologe, eigentlich doch Fachmann für solche Angelegenheiten. Was konnte ich tun? Zunächst einmal den Verfasser des Briefes sprechen! Ich musste nähere Umstände wissen. Etwas später erfuhr ich dann, wie es geschehen sollte: Ich sollte mich erst in Sicherheit wie­gen und in einem un-be­obachteten Moment wollte er mir dann auflauern und mit dem Messer „die Schrote“ durchschneiden. Das würde er tun, wenn er nicht in den offenen Vollzug 1, also in den Genuss von Haftlockerungen, käme. Ich fuhr mit der linken Hand über meinen Hals und schluckte. Rechnete Zickelmann damit, dass ich gewarnt würde? War der Gefangene, der mir den Brief brachte, etwa sein „Kurier“, der mich ans Leiden bringen sollte, so wie er selbst offenbar zu leiden schien? Wenn letzteres der Fall war, so war es ihm vollauf gelungen. Fürs erste konnte ich nichts mehr tun. Der An-staltsleiter und der Vertreter des Poli-zeidienstes 2 waren nicht mehr in der Anstalt. Ich traf aber noch den Bereichssleiter des betreffenden Gefängnisflügels und erzählte ihm von dem „heißen Eisen“. Für die nächste Woche ver­einbarten wir eine Geheim­konferenz“.


Bildquellen

  • GB: Gerhard Böttcher