Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Beitrag aus der Zeitschrift „Forum der Psychoanalyse“
Erstveröffentlichung (1999), Springer Hamburg

Der Befund: Fehlentwicklung, Krise, Chaos?

Die Geschichte der Psychoanalyse ist immer von besorgten Blicken um  ihre Zukunft begleitet gewesen. Von Zeit zu Zeit erscheinen Bücher mit den entsprechenden Titeln, 1975 hieß der Band mit Beiträgen von Kohut „Die Zukunft der Psychoanalyse”, und dieser Titel wird 20 Jahre später in einem Band von Cremerius wiederholt. Ihre Zukunft hat durchaus Geschichte. Zukunftssorgen begleiten obstinat ihre Entwicklung.

Besorgt warnten schon Ferenczi und Rank 1924 vor „Fehlentwicklungen”, und diese Diagnose steigert sich dann. Edelson (1989) sieht eine tiefgreifende Krise und, schlimmer noch, Robert Holt (1992) und neuerdings Thomä (1999) sehen gar ein theoretisches Chaos. Die Frage ist dann, kann man einen Blickwinkel finden, von dem aus das Chaos als Kosmos erscheint?

Die diagnostischen Befunde zum Zustand der Psychoanalyse sind verpufft. Nach vielen kritischen Analysen zu psychoanalytischen Institutionen, zur Dogmatik der Lehranalysen, der Verstaubtheit der Lehre und der Trockenheit der Ausbildungsseminare, so stellte erstaunt Erdheim in einem Vortrag fest, operieren diese nach wie vor – im Wesentlichen unverändert. Kernberg (1996) veröffentlichte eine ironische Liste, was man alles tun könne, um den Nachwuchs von der Ausbildung abzuschrecken – und beschrieb in 30 Punkten den status quo vieler Institute; das ist bitter. Viele Rufe zur Vereinheitlichung, zur Darstellung eines „common grounds” sind verhallt. Stimmt also irgendwas mit der Psy-choanalyse selbst nicht oder haben sich die Umstände so verändert/ver-schlechtert, dass die Psychoanalyse nicht mehr in die Welt passt? Marcuse hatte ihr Veralten diagnostiziert, und man muss sich sorgen: Stirbt sie gar? Immerhin wird sie über 100 Jahre alt, aber ihre Identität hat sie immer noch nicht gefunden – oder wieder verloren, aber wo im Laufe ihrer “Bewegung”? Sind es die Kinder der alten Dame, die ihr die Krankheiten „Institutionalisie-rung”, „Medizinalisierung” und “Ver-rechtlichung” an den Hals gehext ha-ben? Andere behaupten, die Psy-choanalyse habe die kritische Kraft noch nicht verloren, während die nächs-ten meinen, auch als Gesellschafts- und Kulturkritik sei sie kraft- und zahn-los geworden.


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller