Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

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4. Psychoanalyse der Psychoanalyse

Eine vierte Strategie fordert eine “Psychoanalyse der Psychoanalyse” (Bal-mary 1982; Carveth 1993; Lickint 1996; Plaut 1993 (*3) ). Der Grundgedanke ist: Wenn das Unbewusste allgegenwärtig ist, dann müssen auch die Konzepte der Psychoanalyse selbst vom Unbewussten bestimmt sein. Diese Autoren teilen den Gedanken, dass die Begriffe der Psychoanalyse eine Art formativer Kraft haben, mit der sie ihren Gegenstand herstellen, den sie gleichwohl nur zu beschreiben behaupten. Die Psychoanalyse kann das Innenleben des Menschen nie zum Thema machen, ohne ihrerseits auf mehr oder weniger konventionalisierte Ausdrucksformen zurückzugreifen. Insofern ist unsere Theorie immer und unabdingbar eine “social theory of mind” (Mitchell 1988). Vielleicht ist es eine ihrer größten Selbsttäuschungen, wenn sie meint, Seelisches unabhängig von oder sogar im Gegensatz zu Sozialem ausloten und untersuchen zu können. Die Fixierung an eine Theorie wäre bloß Konvention – und wie dann ist Innovation möglich? Wo die Balance zwischen Konvention und Innovation zu einseitig zugunsten der Konvention ausschlägt, entsteht das Bedürfnis nach Neuem, um der Wiederholung der immergleichen Beobachtung, der Zitierung der immergleichen Zitate, den immergleichen Theorien zu entkommen. Arnold Goldberg (1990) spricht hier drastisch vom „prison-house of psychoanalysis”. Wo sich die Waage zu einseitig zugunsten der Innovation neigt, erschallt der Ruf, die Psychoanalyse würde aufgegeben, die richtige Theorie nicht zitiert, die falschen Beobachtungen mitgeteilt.

Carveth (1993) sieht eine Angst vor frischen Ideen. Sie gründe in der Überzeugung, Entdeckungen seien „dort draußen”, im Niemandsland des seelischen Innenlebens, im „inneren Afrika” zu machen. Das konfligiert mit der anderen Überzeugung, unsere Landkarte vom „inneren Afrika” habe doch keine weißen Flecken mehr. Carveth sieht bei beiden Haltungen eine gemeinsame Einstellung am Werk, die eher den Eroberungsgeist eines Fran-cis Drake wiedergeben als die psychoanalytische Erfahrung. Die Erfahrung drängt über die Theorie hinaus und kann doch nur als Theorie kommuniziert werden. Theorie bewahrt eine Erfahrung, die außerhalb ihrer liegt, sie ist sozusagen eine Intuition, die die Geduld verloren hat (George Steiner). Will man Psychoanalyse also erweitern, muss man ihre Begrenzungen analysieren, insbesondere ihre Metaphern, die in ihrem Zentrum stehen. Sie steuern unbemerkt Wahrnehmungen, geben Beobachtungen die konventionelle Form und erneuern rituell die Tradition. Darin behindern sie Innovation. Sie zur Kenntnis zu nehmen ist ein Beitrag zur „Psychoanalyse der Psychoanalyse”.

Wenn man die Seele als „Apparat” oder als „Dampfkessel” sieht – dann kann gelegentlich ein Hammer das richtige Reparaturwerkzeug sein. Sieht man das Selbst als zerbrechliche („fragmentierte”) chinesische Vase – dann ist der Hammer gerade falsch, und die Vase muss in den Brennofen der Übertragung. So macht es auch einen Unterschied, ob sich der Analytiker als „Detektiv” sieht (Lorenzer 1985) – dann will er ein Verbrechen aufklären, und es gibt nur eine Wahrheit, die man dann auch ermitteln kann. Oder ob er „unaufdringlich” (wie Balint sein Ideal formuliert) ist – dann geht es gerade nicht darum, das letzte Wort zu haben, sondern immer um das Finden des nächsten. Was stellen wir uns vor, wenn man in Fallgeschichten liest, eine Deutung „trifft”, vielleicht sogar „ins Schwarze”? Die Deutung kommt in dieser Metapher als Pfeil daher, der „das Schwarze” penetriert. Der Pfeil deutet nicht, er erlegt das Wild des Unbewussten, der Analytiker tritt als Jäger, vielleicht auch als Trophäensammler auf. Der Analytiker ist nicht einfach Analytiker – eine solche identitätslogische Gleichung A = A wäre nicht informativ und deshalb langweilig. Freud sagt, der Analytiker sei Aufklärer und Archäologe, Bergführer, Chirurg, Dämonenbekämpfer, Lehrer, Spiegel und vieles andere mehr. Jede dieser Metaphern enthält ein ganzes Modell therapeutischen Han-delns – und artikuliert unbewusste Phantasien.


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller