Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

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Gute Kliniker haben längst ein Repertoire von solchen frischen Metaphern parat. Denn nichts ist so langweilig, als wenn sich beide am therapeutischen Dialog Beteiligten einig darüber sind, der eine von beiden habe einen Ödipuskomplex – mit dieser Idee beginnen Patienten heute ihre Behandlung, während sie sie zu Freuds Zeiten damit beendeten. Das war eine frische Metapher zu Beginn dieses Jahrhunderts. Ich glaube, es darf nicht als Revision diffamiert werden, wenn ich die Forderung aufstelle, dass wir andere, wieder frische Metaphern finden müssen, weil wir nur so eine Re-Vision des Freudschen Anliegens zustande bekommen. Wir brauchen dazu die Fähigkeit, Wert und Begrenztheiten der Metaphern der traditionellen Theorie zu sehen und wir brauchen Mut, frische Metaphern an deren Stelle zu setzen.

Wenn wir Profession und Wissenschaft unterscheiden und Interaktion mit frischen Metaphern schätzen lernen, können wir auch wieder Ausbildungsteilnehmer dafür begeistern, die Dinge so zu sehen, wie sie sie nun einmal sehen – aufgrund ihrer Fähigkeit nämlich, “psychische Analyse an ihrem Nebenmenschen” zu betreiben. Dazu könnten wir uns sowohl kritisch als auch unterstützend verhalten, aber nicht weil wir es “richtig” wüssten, sondern weil wir andere Metaphern benutzen, die einfach ein anderes Licht auf die Dinge werfen, mit denen wir uns täglich herumschlagen. Die professionelle Aufgabe heißt dann: Kommunikation bei Differenz. Freilich müssten wir auf Einheitlichkeit verzichten und es schätzen, in vielen Zungen zu tönen.
Gewiss – ich habe pointiert. Und ich habe naturgemäß vieles auslassen müssen, was anderen am psychoanalytischen Herzen liegen mag. Mir liegt am Herzen die Idee, dass wir die Psychoanalyse nicht nur als emotionale Heimat sehen, als warmes Tuch verklärender Erinnerung, in das man sich auf dem Rückzug vor einer feindlicher werdenden Welt hüllen kann; wir brauchen sie auch als intellektuelle Heimat und als kulturelles Stimulans, um uns – nach einem Worte Adornos – von den übermächtigen Verhältnissen und unserer Ohnmacht darin wenigstens nicht dumm machen zu lassen.

Quellenangaben:

*1 Bei Kelman (1987, S. 111) heißt es: „Con-sequently, while there is now a broad con-sensus that the reactions of the analyst to the patient can be informative about the patient’s pathology, There is as yet no generally ac-cepted way of characterizing this phenome-non“.

*2  Leichsenring (1996) erinnert in seiner kenntnisreichen Kritik an Grawe an den wohlbekannten Umstand in der verglei-chenden Psychotherapieforschung, dass For-scher immer dasjenige Verfahren als wir-kungsvoller in ihren Untersuchungen ermitteln, dem sie sowieso den Vorzug geben.

*3 Die Versuche, die Psychoanalyse zu ana-lysieren, haben eine längere Tradition (z.B. Maylan 1929). Meist wurde polemisch ad personam argumentiert. Moderne, dekon-struktivistisch inspirierte Versuche argu-mentieren nicht personalisierend, sondern konzeptuell, und das macht sie so viel interessanter. Lütkehaus (1995, S. 76) ver-deutlicht, dass es nicht um Personalisierung geht: „Die Analyse der Analyse fordert mehr als die Analyse der Analytiker…“

*4 Auch wenn Oevermann sich gegen das psychoanalytische Erbe seiner strukturalen Hermeneutik verwahrt hat – soziologische Autoren (Willems 1996) sehen es deutlich.

*5 Ein literarisches Beispiel findet sich in dem Roman „Zirkuskind“ von John Irving: „Am Flughafen von Rajkot wurde die Lautsprech-eranlage getestet. ‘Eins, zwei, drei, vier, fünf‘, sagte eine Stimme. ‚Fünf, vier, drei, zwei, eins‘. Dann wiederholte sie das Ganze. Vielleicht wurde gar nicht die Lautsprecheranlage getestet, dachte Dr. Daruwalla, sondern nur, wie gut die betreffende Person zählen konnte“.

*6 Rank und Ferenczi schrieben bereits 1924 in ihren „Entwicklungszielen der Psychoanalyse“, „Die regelrechte Psychoanalyse ist in diesem Sinne sozusagen ein sozialer Vorgang“ (S. 38) und wenige Seiten zuvor haben sie die behandlungstechnischen Konsequenzen bereits entwickelt: Die „aktuelle Aufgabe“ in jeder Analyse bestünde „darin, dass man jede Äußerung des Analysierten vor allem als Reaktion auf die gegenwärtige analytische Situation (Abwehr oder Anerkennung von Aus-sagen des Analytikers, Gefühlsreaktionen auf dieselben usw.) verstehen und deuten muss…“ (S. 35).

*7  William P. Henry (1998, S. 126), Koautor der großen Vanderbilt-Studie, schreibt über das Verhältnis von Forschung und Praxis, erkenn-bar betroffen: „If I had given this talk several years ago, I might have said that my greatest fear was that psychotherapy research would have no effect on clinical training. Today, my greatest fear is that it will – that psychotherapy research might actually have a profoundly negative effect on future training.“
*8 Henry (1998) kennzeichnet vielmehr umge-kehrt den Typus der von ihm kritisierten empirischen Forschung in der Psychotherapie als „pseudoscience“.

*9 Auf diese indischen Quellen verweist Freud; im Konzept des Nirwana ist ein Nachhall dieser Lektüre zu erkennen. Stein (1986) stellt fest, dass Freud via Schopenhauer durchaus in den Hafen auch der indischen Philosophie ein-gelaufen sei.

*10  Hobson (1985) schreibt in seinem wunderbar klinischen Buch, er sei einmal von angehenden Psychotherapeuten gefragt worden, was sie denn lesen sollten. Er habe geantwortet: Shakespeare und die Bibel.

*11  Auch Körner (1995) sieht eine Differenz zwischen der Verwissenschaftlichung und der Professionalisierung und akzentuiert als Unterscheidungskriterium die Berufsethik. Das ist eine und noch auszuarbeitende wichtige Ergänzung.

*12   vgl. Buchholz 1996 und Buchholz und v. Kleist (1997).

*13  Hier kann man auf Freuds Strategie der „Verbildlichung für das Unbekannte“ zurück-kommen. Freud vertritt diese Strategie sehr selbstbewusst. Eugen Bleuler hielt Freud in einem Brief vom 20.11.1912 (zit.nach Grubrich-Simitis 1993, S. 356) vor: „Ihre psychologischen Begriffe sind vorläufige, nach Ihren momen-tanen Erfahrungen geschaffene; Sie sind bereit, sie jeden Augenblick nach neuen Erfahrungen zu ändern, manchmal vielleicht ohne sich dessen zu sehr bewusst zu sein; so haben sie keine bestimmten Grenzen.“ Freud habe in seinem Antwortbrief, so Grubrich-Simitis, diese als Vorwurf gemeinte Stellungnahme Bleulers „als großes Kompliment“ angesehen und hinzugefügt, dass nur so, durch „Begriffs-bildung ‘aus Vorläufigkeiten’“ es möglich sei, „sich der fortschreitenden Erkenntnis des Ubw anzuschmiegen“ (Grubrich-Simitis zitiert hier aus Freuds Antwortbrief).

*14  Was in den Kommunikationswissenschaften längst der Fall ist (Lenke, Lutz, Sprenger 1995).


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller