Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

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Die Behandlung

Ich sehe vier verschiedene Strategien, mit denen man auf die gegenwärtige Lage zu reagieren versucht. Ich will sie auflisten und meine Stellungnahmen dazu abgeben:

1. „Zurück zu Freud”

Die erste Strategie folgt dem Ruf „Zurück zu Freud”. Sie wird von sehr unterschiedlichen Autoren vertreten. Ihre Beiträge sind ungewöhnlich geistvoll, sie heben auf Freuds Genialität ab, auf seine unwidersprochen einmalige Leistung der Schaffung einer neuen Wis-senschaft. Ihre Beiträge dokumentieren ein profundes Wissen um die Qualen ihres Schöpfers und um die Besonderheiten der Entstehung einer Wissenschaft, die sich mit dem Unsichtbaren und den menschlichen Tiefen beschäftigt. Die Strategie des „Zurück zu Freud” will identitätsstiftende Effekte in der Gegenwart bewirken. Hier setzt die Kritik an. Denn man kann sich – leider – nicht mehr in allen Fragen auf Freud berufen. Freud hatte Minimal- und Maximaldefinitionen der Psychoanalyse gegeben. Nach einer dieser Definitionen ist Psychoana-lytiker, wer Übertragung und Widerstand anerkennt, nach einer anderen gehört die Anerkennung des Unbewussten und des Ödipus-Komplexes dazu. Wir sind jedoch weit davon entfernt, einig definieren zu können, was Übertragung ist; es gibt enge und weite Definitionen und Auffassungen, wonach die Übertragung ein Echo der Gegenübertragung (*1) ist . Und die Rede von der Gegenübertragung verdunkelt oft mehr als sie erhellt.

Wir haben es heute mit Krankheitsbildern zu tun, von denen wir eine andere als eine nur ödipale Ätiologie annehmen müssen, und wir streiten uns heftig über männliche und weibliche Varianten des Ödipus. Und anderes kommt hinzu. So ist es z.B. fraglich, ob wir Freuds Auffassung von der Wissenschaft als einer weltanschauungsfreien Weltanschauung, ob wir seine Ansichten über die Säuglingsentwick-lung, inwieweit wir die Annahme des tierischen Erbes des Menschen noch teilen können, ob die Metapsychologie eine Hexe ist, die verbrannt werden muss; kurz – die Strategen des „Zurück zu Freud” liefern wertvolle und teils tragische Einsichten über die Ent-stehung der Psychoanalyse, aber ob sie die gegenwärtige Situation bewältigen helfen können, ist fraglich. Wer zurück will, riskiert die Schaffung eines Ursprungsmythos und trägt möglicherweise zum sektenartigen Charakter psychoanalytischer Institutionen mehr bei, als einem lieb sein kann. Wenn eine Wissenschaft sich allzu sehr an ihren Gründer bindet, behindert sie in schwer einzuschätzender, aber wirkungsvoller Weise ihre eigene Weiterentwicklung und institutionalisiert Glaubenssysteme mit allen fatalen Folgen, wie z.B. die Geschichte der Häresien und Dissidenzen. Adolf-Ernst Meyer war hier ganz radikal; er forderte die Befreiung von der „Altlast Freud” – eine Forderung, der ich mich in dieser Radikalität nicht anschließen mag. Ich stelle im Gegenteil manch-mal mit Befremden fest, dass man Weiterbildungsgänge an psychoanaly-tischen Instituten durchlaufen kann, ohne Freud im Original gelesen zu ha-ben. Dabei lässt man sich nicht nur die Schönheit seiner Prosa entgehen, sondern spart sich auch das Staunen über die Fülle an Beobachtungen, die er sorgfältig zusammengetragen hat. Aber entwickelte Wissenschaften zeichnen sich dadurch aus, dass die Zitier-ungen ihrer Gründerfiguren ab- und nicht zunehmen, und so könnte diese Strategie selbst ein Beitrag zur gegenwärtigen Lage sein, nicht ihre Heilung.


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller