Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

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Warum macht Freud von solchen widersprüchlichen Darstellungsmitteln Gebrauch? In seinem Buch über den Witz (GW VI, S. 167) macht er das klar: Um sich Begriffe wie „Abfuhr” oder „Energie” „philosophisch zurechtzulegen”, versuche er eine „Verbild-lichung für das Unbekannte”. Positiv also können wir über die Seele gar nichts sagen, es braucht bildliche Darstellungsmittel. Dies ist ein durchlaufendes Thema für Freud; schon in einem Brief aus dem Jahre 1873 schreibt er an Emil Fluß, er denke mit einer gewissen „schlaftrunkenen Philosophie”. Wenn, wie er in der Traumdeutung dann formuliert, der Traum nichts anderes sei als eine Art zu denken, dann kann man das auch umdrehen: auch das Denken ist ein Traum, insbesondere das psychoanalytische Denken verbildlicht das Unbekannte. Ricoeur (1986) meinte, die Metapher sei das „Träumen der Worte”. Zugleich ist die Metapher universelles Denkwerkzeug. Lassen Sie mich nur einen Beleg nennen. In der kognitiven Linguistik findet durch die Arbeiten des Chomsky-Schülers George Lakoff eine Revolution der Bedeutungstheorie statt. Lakoff und sein Koautor Mark Johnson stellen den Körper, der Erfahrungen macht und kategorisiert, ins Zentrum. Ihr neues Buch heißt deshalb „Philosophy in the Flesh”, und sie beginnen es mit drei wuchtigen Sätzen. Der erste heißt: „The mind is inherently embodied”. Das darf Psychoanalytiker, die Freuds These kennen, das Ich sei v.a. ein körperliches, durchaus freuen, denn es geht weiter. Der zweite Satz heißt: „Thought is mostly unconscious” und Sie dürfen mir glauben, das ganze dicke Buch darf man als Bestätigung dieser These lesen und man findet viel aus der cognitive science zusammengetragen, wo man sich als Analytiker beruhigt zurücklehnen kann. Der dritte Satz heißt: „Abstract concepts are largely metaphorical” und damit wird die gängige Trennung zwischen dem anscheinend höherrangigen abstrakten Denken und dem bildhaft-anschaulichen aufgehoben. Wissenschaft kann auf Metaphern nicht nur nicht verzichten, sie ist sogar in ihnen fundiert und in menschlichen Körpern, die Erfahrungen machen. Wir sehen nur, was wir wissen, und wir wissen es nur, weil wir es sind.

Das Problem sind also nicht Metaphern, also auch nicht die vielfältigen und teils ja auch widersprüchlichen Metaphern bei Freud. Thomä und Cheshire (1991) haben es problematisiert, wenn die Metapher als Tatsache genommen wird. Freud schwankt hier. Er sieht (GW XIII, S. 65), „dass wir genötigt sind, mit den wissenschaftlichen Termini, das heißt mit der eigenen Bildersprache der Psychologie (richtiger: der Tiefenpsychologie) zu arbeiten. Sonst könnten wir die entsprechenden Vorgänge überhaupt nicht beschreiben, ja, würden sie gar nicht wahrgenommen haben.” Angesichts der Bilderflut rettet er sich schnell auf einen Felsen „roher Tatsachen”, wenn er fortfährt: „Die Mängel unserer Beschreibung würden wahrscheinlich verschwinden, wenn wir anstatt der psychologischen Termini schon die physiologischen oder chemischen einsetzen könnten.” Aber diesen vermeintlich sicheren Hort gibt er im nächsten Satz sofort wieder auf: „Diese gehören zwar auch nur einer Bildersprache an, aber einer uns seit längerer Zeit vertrauten und vielleicht auch einfacheren”.

Statt nun sog. Tatsachen als Korrektiv einzubringen, schlägt die vierte Strategie einer Psychoanalyse der Psychoanalyse nun vor, die Begrenzungen unserer eigenen theoretischen Bildersprache zu analysieren. Die Strategie der „Psychoanalyse der Psychoanalyse” scheint somit das paradoxe Potential zu haben, die Psychoanalyse bewahren und erneuern zu können.

ALTERNATIV-MEDIZIN

Psychoanalytische Denkfiguren sind in dem Maße, wie ihr kultureller Einfluss wuchs, weit in andere Wissenschaften eingesickert.

Das, so vermutet Reiche (1995), gilt für alle auf Reflexion des Subjekts setzenden Unternehmungen vorzüglich interpretierender Art wie Oever-manns objektive Hermeneutik (*4), qualitative Sozialforschung, und auch für Teile neurowissenschaftlicher Arbeiten (Pierre Changeuex), aber auch für Literaturwissenschaftler wie Peter von Matt oder Manfred Schneider.

Tatsächlich – selbst wenn die Psychoanalyse empirisch in toto falsifiziert wäre, müssten ihre erbittertsten Gegner zugestehen, dass ohne sie der moderne Diskurs des Menschen über sich selbst gehaltlos und flach verliefe (Lear 1996). Auch die moderne Philosophie vollzieht die Geste, sich selbst jene begrifflichen Stufen unter den Füßen weg zu analysieren, die vom Kopf schon weit überragt werden. Die eigene Begriffsleiter zu analysieren, macht ihr Unternehmen so ungemein erregend. Der Aufstieg in die Höhen der Abstraktion schafft ungemeine Ausblicke in die Tiefe, aber bewahrt er vor dem Absturz? An irgendeiner Stelle macht der Diskurs deshalb Halt und erklärt seine zuletzt gefundenen Begriffe zu letzten Befunden. Sie stabilisieren – aber um den Preis, dass aus „Verbildlichungen für das Unbekannte” dann Tatsachen gemacht werden.

Innerhalb der Psychoanalyse sind es Autoren wie Carveth, Goldberg, Spence, Mitchell, Benjamin u.v.a., die in solcher Neigung zur Selbst-Fixierung (in) der Theorie das gegenwärtige Kernpro-blem psychoanalytischen Denkens se-hen; soweit das Denken aus Angst vor Identitätsverlust an seine Begriffe fixiert bliebe, käme die Psychoanalyse gebannt nicht von der Stelle. Mit solcher Fixierung verliert die Psychoanalyse ihre avantgardistische Position; sie kann nicht mehr andere Wissenschaften inspirieren, sondern braucht selbst, will sie nicht ermattet zurückbleiben, theoretische Infusion. Aus Fixierungen löst bekanntlich nichts besser als Psychoanalyse, und so bringt diese vierte Strategie einer kulturell einflussreichen Theorie des Menschen vielfältig angereichert zurück, was sie zuvor an andere abgegeben hatte. Damit wird Psychoanalyse wie-der theoretisch anspruchsvoll und avanciert zu Anschlussfähigkeit an an-dere Wissenschaften, aber eine Psychoanalyse der Psychoanalyse ist un-vermeidlich auch selbstkritisch. Hier soll in drei Thesen dargestellt werden, wie so Zukunft gewonnen werden könnte. Und vorsichtig füge ich hinzu, diese Vorschläge sind offen für weitere.


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller