Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

Die Psychoanalyse der Zukunft der Psychoanalyse

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2. These: Als Profession hat die klinische Psychoanalyse Zukunft

Auch wenn ich eben für die Zurkennt-nisnahme wissenschaftlicher Nachbarn plädiert habe, können Profession und Wissenschaft nicht gleich gesetzt werden. Professionelle Praktiker und Forscher haben einfach unterschiedliche Probleme, verschiedene Methoden, andere Literaturbestände und greifen auf ganz andere Erfah-rungsvorräte zu. Sie sind wechselseitig autonom – das macht Kommunikation erforderlich. Das Gespräch wird erschwert, solange dieser horizontale Unterschied in einen vertikalen verwandelt wird mit der Folge von Über- oder Unterlegenheiten. Wer die Profession nur durch Verwissenschaftlichung verbessern will, folgt dem hie-rarchischen Modell, wonach Wissenschaft über anderen Handlungssys-temen stehe. Das hierarchische Modell – von Thorstein Veblen (1957) in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts formuliert – löst nicht, sondern erzeugt eine Reihe von Problemen, die ich hier auflisten will (vgl. Reiter und Steiner 1996):

1. Das Problem der Relevanz. Die Psychotherapieforschung ist von Anfang an begleitet von einem Chor kritischer Stimmen, die leise, aber vernehmlich immer wieder danach fragen, was ein Praktiker mit den gefundenen Ergebnissen anfangen könne. Manche, wie Rudolf (1991), Stiles und Shapiro (1989), Stiles (1993 und 1994), Jaeggi (1994) oder Hutterer (1996) meinen sogar, kaum ein Ergebnis der Forschung habe die Praktiker nachhaltig beeinflusst und andere, wie Schachter und Luborski (1999), vermuten, Praktiker brauchen auch eine Art Immunschutz gegen Irritation.

2. Das Problem des Status. Wissenschaftler genießen höheres Ansehen als Praktiker. Wissenschaftliche Meinungen werden eher zitiert – allein deshalb, weil sie eben zitieren.

3. Das Problem des Transfers. Wissenschaftlich gefundene Ergebnisse sollen, notfalls erzwungen mit politischen Mitteln, zu den Praktikern transferiert werden. Diese erscheinen als Anwender oder als Konsumenten wissenschaftlich gefundenen Wissens (Wolff 1994), nicht mehr als Professionelle mit eigener Autonomie.

4. Das hierarchische Modell übersieht die völlig unterschiedlichen Handlungs- und Organisationsformen bei-der Bereiche. Wer als Psychothe-rapieforscher arbeitet, tut dies meist unter einem solchen Stress, dass ihm kaum Zeit für Behandlungen bleibt – jedenfalls ist gut gehütetes Geheimnis, welcher Forscher wie viele Patienten behandelt. Forscher zitieren andere Literatur, haben eigene, in ihren Diskursen erzeugte Methoden und Probleme, die sich von denen der Professionellen wesentlich unterscheiden.

5. Es gibt andere Werte und damit affektive Bindungen: Das professionelle Handlungssystem der Psychotherapie ist in allen Schulen – Ausnahme Familientherapie – an persönliche Grün-derfiguren (Freud, Rogers, Pearls) gebunden, eine Bindung, die man in der Wissenschaft gerade abzulösen sucht; man möchte objektiv, d.h. ohne personale Voreingenommenheiten sein.

6. Entscheidender noch ist, dass in beiden Systemen völlig unterschiedliche Zeitstrukturen am Werk sind. Ein Wissenschaftler muss für die Beantwortung einer Frage Literatur auf die Forschungslücke hin studieren, Unter-suchungsdesigns entwerfen, Anträge auf Förderung stellen und Untersuchungen durchführen, seine Ergebnisse präsentieren und Abschlussberich-te schreiben. Wissenschaft ist langsam, auch wenn der Augenschein etwas anderes nahezulegen scheint. Der Zeitdruck kommt nicht aus der Wissenschaft, sondern aus dem sozialen System der Konkurrenzen. Wollte ein professioneller Praktiker wie ein Wissenschaftler verfahren und Pro-blemlösungen erst anbieten, wenn sichere wissenschaftliche Ergebnisse vorliegen, würde er riskieren, dass der Problembesitzer mittlerweile aus seinem Horizont entschwunden ist.


Bildquellen

  • Psychoanalyse auf der Couch: Harald Keller