Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

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Was mir gelungen war

Ein extremes Erlebnis, wie das eben geschilderte, ist im Berufsfeld eines An­staltspsychologen natürlich nicht an der Tagesordnung. Durch dieses au-ßer­gewöhnliche Ereignis ist mir aber nachhaltig klar geworden, dass sich ge­fährli­che Verwicklungen ergeben, wenn im Umgang mit der Kriminalität de­ren Macht unterschätzt wird. Kriminelle Ereignisse geschehen gerade in den Momenten, wenn man sich vor ihnen sicher wähnt. Sie sind eine Repräsen­tanz des Unbe­rechenbaren und letztlich nicht unter Kontrolle zu halten. Auch nicht in einem sichernden Gefängnis. Erst die rückhaltlose Anerken­nung dieser Macht in­tegriert auch das durch sie ausgelöste Ohn-machtsgefühl. Während meiner Begegnung mit Zickelmann und meiner zunächst einmal unfreiwilligen Unter­werfung unter seine kriminelle Potenz habe ich die Existenz einer archaisch begründeten Macht erfahren, einer Macht, die sich gerade daraus ergibt, dass sie sich nicht an Gesetz und Ordnung hält. Ich glaube, dass diese Erfahrung und das damit verbundene Gefühl des Ausgeliefertseins zwar nicht alltäglich für uns stattfindet, aber als eine zentrale Erfahrung zu unser aller Le­ben ge­hört. Wenn ohne Ver-leugnungen damit umgegangen werden kann, erweitern wir in solchen Erfahrungen unser Leben. Unsere Kultur hingegen sucht uns eine solche Begegnung mit dem Archaischen durch die Be­reitstellung von Absicherungs-illusionen zu verschleiern. Wer ein Leben hat, kann es verlieren, insofern ist das Leben selbst ge­fährlich. Die Kri-minalität mahnt uns daran.

Meine Ohnmacht Zickelmann gegenüber, die ich ihm gegenüber nicht ver­schleierte, entsprach in gewisser Hinsicht seiner Ohnmacht mir gegenüber, weil ich für ihn die behördliche Macht symbolisierte. Zu spüren bekam Zi-ckel­mann aber auch, dass ich dennoch um meine institutionelle Macht wusste und mich nicht von meiner Sachentscheidung abbringen lassen würde. Zickelmann hat mir auf dramatische Weise gezeigt, dass es besser ist, ihn in seiner krimi­nellen Gefährlichkeit zu respektieren als ihn zu entwerten. Ihm verdanke ich einen tiefen Erkenntnisgewinn: Respekt zu haben vor dem, was uns vernichten kann – was keinesfalls bedeutet, das Vernichtende gut zu heißen. Es ist ein Paradoxon die Menschen anzunehmen, ohne ihre Destruktivität dabei zu billigen. Wer als Psychologe in einem Ge-fängnis arbeitet, ist Helfer und Be-handler, aber im Gegensatz hierzu auch ein direkter Vollstrecker im Niederhalten krimi­neller Rebellion. Diese beiden unterschiedlichen Aspekte müssen in den fach­eigenen Standpunkt eines Anstaltspsychologen in-tegriert werden. In meiner weiteren Arbeit in der Anstalt habe ich versucht das umzusetzen. Und auf der Basis dieser besonderen Erfahrung sollte mir im Folgenden etwas gelingen, woran ich vorher, mich nicht einmal getraut hatte zu denken.

Nachwirkungen am Arbeitsplatz

In der nächsten Zeit veränderte sich mein Arbeitszimmer in der Anstalt. Es handelte sich dabei um eine umge-widmete größere Zelle, in der früher die Gefangenen Fußmatten flochten. Die Behörde hatte es als Dienstzimmer eingerichtet mit den einfachs­ten Büromöbeln und einem inzwischen schon abgelaufenen Linoleumfuß-boden. Ich wollte meinem Arbeitszimmer eine Atmosphäre geben, die besser zu einer psychologischen Arbeit passt. Die Anstalt verweigerte mir aber die Anschaffung neuer und zu einem psychologischen Ambiente passendere Möbel. Also beschloss ich, mich ohne Er­laubnis der Anstalt und auf eigene Kosten in meinem Arbeitsraum einzu­richten. Das war eine spannende Zeit. Ich tauschte alles aus, einschließlich des Fußbodens. Wenn man nun in den Raum kam, war man aus der Gefäng­niswelt heraus in einer echten „Psychologenpraxis“. Die Anstaltsleitung machte zuerst ein paar drohende Anmerkungen, ließ es am Ende aber geschehen. Die Gefangenen, die jetzt in meine Sprechstunde kamen, würdigten diesen Schritt von mir und fühlten sich in der neuen Atmosphäre, die sie bei mir erleben konnten, wohl.

Was mir hier gelungen war, geht auf meine Erfahrung mit Zickelmann zurück. In der Folge dieses Erlebnisses hatte ich mich davon freimachen können, auf eine zwanghafte Weise im-merzu an die Zweischneidigkeiten der Verbindung zwischen dem Helfen und dem Unterdrücken denken zu müssen und mich zu rechtfertigen. Weil ich es ausgehalten hatte, mich in dem zugespitzten Fall einer Er­pressung eindeutig und mit allen Konsequenzen dieser Zwiepältigkeit zu stel­len, war es mir möglich geworden, nunmehr auch aus freier Entscheidung über weite Strecken des Tages diese Zweischneidigkeiten einfach zu ver­gessen, um auf diese Weise einmal ganz der Psychologe zu sein und den Erfordernissen dieses Anspruchs in meinen Gesprächen mit den Gefangenen folgen zu können. Und nicht nur die Gefangenen dankten es mir. Auch meine Kol­legen ließen sich nach und nach dazu animieren, der psychologischen Entschiedenheit auf eine ähnlich einfache Weise Ausdruck zu verleihen. Erstaunlicherweise ließ die Anstaltsleitung dies alles geschehen, nicht ohne – wenn auch etwas verhalten – einen gewissen Respekt dabei mit zum Ausdruck zu bringen. Und so kam es in gewisser Weise genau dort zu einem Mittragen, wo es vorher nur Abwertung und für alle Beteiligten unergiebige Kämpfe gegeben hatte.


Bildquellen

  • GB: Gerhard Böttcher