Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

Psychologe auf Bewährung – Zum Problem des Psychologe-Seins im Strafvollzug

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Die Institution kann mir nicht helfen

Die Geheimkonferenz fand dann in der folgenden Woche statt. Teil­nehmer wa­ren Mitarbeiter, die Zickelmann kannten. Wie konnte ich geschützt werden? Wie konnte die Justizvoll-zugsanstalt mir helfen? Einige Kollegen meinten, er müsse sofort in eine andere Anstalt ver­legt werden. So eine „Gemeinheit“ dürfe man sich hier nicht bieten lassen. Dass man dies sich nicht bieten lassen dürfe, war auch meine Meinung, aber seine „sofortige Verlegung“ in eine andere geschlos­sene Anstalt wäre keine Lösung, dachte ich. Dann wäre ich ja erst recht in seiner Schusslinie. Zickelmann käme nicht in den offenen Vollzug und ich hätte die Schuld. Was würde geschehen, wenn er schließlich entlassen würde? Zickelmann hatte ein gutes Gedächtnis. Und wenn ich einfach nicht mehr zum Dienst ginge? Auch das wäre keine Lösung: Man würde mir schnell kündigen, bekam ich zu hören. Ich würde ja schließlich dafür bezahlt, dass ich meine Arbeit mache. Und meine monatliche „Gitterzulage“ 3 sei ja fürs Risiko, wurde mir erklärt. Ich wurde wütend, weil mir offenbar niemand aus der Not hel­fen konnte. Die Geheimkonferenz endete schließ-lich mit der Be­schwichti­gung, die erneute Prüfung für den offenen Vollzug sei erst in vier Monaten und bis dahin würde mir schon nichts passieren. Die Entscheidung über den offe­nen Vollzug sei schließlich nicht die Ent­schei-dung einer einzelnen Person, sondern Konferenzbeschluss. Dies müsse man Zickelmann zu verstehen ge­ben.

Die Geheimkonferenz konnte meine Probleme also auch nicht lösen. Ich fühlte mich von der Institution im Stich gelassen. Es blieb also noch eine „Gnaden­frist“. Ich musste plötzlich an einige „gefängnisferne“ Berufskollegen denken, die schon mal warnend Bedenken zu meiner Arbeit im Gefängnis geäußert hatten: „Dir wird da noch mal was passieren.“ Ich hatte dagegen eingewendet, dass ich dort sicher ge­nug sei und dass sie doch nichts von diesem Metier verste­hen. Nun schien deren Ahnung plötzlich harte Wirklichkeit zu werden.

Lähmung

Die nächsten Wochen zogen vorüber. Zickelmann traf ich einige Male auf den Gängen der Anstalt. Er war gleich-bleibend freundlich. Ich be­ruhigte mich wie­der. Dabei half mir die Anteilnahme, die mir einige meiner engeren Arbeitskol­legen für meine besondere Lage entgegen­brachten. Und weiter ver­gingen die Wochen. Die Prüfung von Zickel­manns Antrag für den offenen Voll­zug stand bevor. Ich hatte die Er­eignisse von damals fast schon vergessen. Da klopfte es an meiner Bü­rotür und jener Gefangene, der mir seinerzeit die War­nung über­bracht hatte, stand wieder im Türrahmen. Ob er mich mal dringend sprechen könne? „Ja, natürlich“. Ich war irritiert. Ich erfuhr nun von ihm wieder das Glei­che wie damals. Es wäre jetzt aller-dings noch ernster. Wenn Zickel­mann nicht in den offenen Vollzug käme, ginge seine „Ehe ka­putt“. Zickelmann hatte vor kurzem in der Haftanstalt wieder geheira­tet – seine dritte Ehe. Also wenn er nicht bald in den offenen Vollzug käme, ginge auch er „selbst kaputt“ und ich sei der Ver-ursacher und damit der Schuldige. „Kaputt gehen“ wolle er jedoch nicht alleine und mich deswegen mitnehmen. Er wolle mich „abstechen wie ein Schwein“ oder mir „sechs Kugeln in den Kopf jagen“.

In mir tauchte gleich einem feixenden Teufel die Vision meines mög­lichen Un­tergangs auf. Panik breitete sich in mir aus. Zickelmann hatte in den letzten vier Monaten nichts vergessen. Wie es jedoch aus­sah, würde er nicht in den offenen Vollzug kommen und die Instituti­on konnte mich nicht schützen. „Das gibt’s doch nicht!“ rief es in mir. Meine jetzige Not übertraf meine damalige bei weitem. In den näch­sten Tagen lief ich entsprechend verunsichert durchs Haus. Aber nicht nur tagsüber, auch in der Nacht war ich unruhig. Ich hatte Schlafstö­rungen. An einem Abend sprach ich mit einem befreundeten Berufs­kollegen über mein Problem.

Wo war ich da bloß reingeraten? War Zickelmanns Drohung nur eine pene­trante Mordphantasie oder verbarg sich etwas anderes dahinter? Dieser Mensch setzte mich gehörig unter Druck. Wie wäre es, wenn ich mich seiner Erpressung stellen würde? Vielleicht war überhaupt alles nur deswegen so gefährlich, weil ich das Spiel mit der versteck­ten Drohung bisher hauptsächlich doch nach seinen Regeln mitgespielt hatte?


Bildquellen

  • GB: Gerhard Böttcher