Bildanalytisches Denken

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Für diejenigen, die es vielleicht noch immer nicht glauben, daß wir mit dem zufällig gewählten Beispiel der Tasse tatsächlich ein UNIVERSALES Gleichnis gefunden haben, werden wir dasselbe Gleichnis nun darauf befragen, ob es uns nicht auch etwas über das Seelische im ALLGEMEINEN sagen kann:

Sehen wir also, ob wir nicht sogar eine „ganze Psychologie“ von der Tasse her entwickeln können. Natürlich kann das hier nur ganz kurz angerissen werden. Gönnen wir uns aber vorher erst noch ein Stückchen gemeinsames Erleben [eingespielt wird Samba de Janeiro]. Das ist der Sommerhit dieses Jahres „Samba de Janeiro“.

Was wir gehört haben, wenn wir es von seiner Wirkung her beschreiben, können wir einen Ohrwurm nennen. Wir meinen damit einen Wurm, der jetzt natürlich nicht wirklich in unsere Ohren kriecht, vielmehr verstehen wir das Ganze in einem übertragenen Sinn. Und das ist logisch konsequent so. Andererseits spüren wir aber auch, daß da noch ein bißchen mehr ist als nur das, was die Analogie zu beschreiben vermag: Ein bißchen meinen wir doch auch tatsächlich, daß dieses Lied uns in die Ohren geht und eine Art Wurmrealität besitzt. Beides – also dieses Verstehen im nur übertragenen Sinne und das Ernstnehmen des Darüberhinausgehenden – geht aber logisch nicht zusammen.

Und vorwegnehmend sei schon an dieser Stelle gesagt, daß nach dem Gleichnis der Tasse genau DAS ein besonderes Kennzeichen des PSYCHISCHEN ist:
Die Tasse macht uns aufmerksam auf eine paradoxe Realität: Und das will sagen: Im Psychischen geht es weder um etwas Irrationales noch um etwas voll Verstehbares (also auch nicht um etwas, was sich irgendwann einmal in einer Reihe von Analogien etwa auflösen ließe).

Natürlich hätten wir uns diesen Charakterzug des Seelischen auch schon an den anderen Bildern klar machen können, am Beispiel des „verlorengehenden roten Fadens“ etwa oder auch am Bilde des „Sich-gleich-an-die-Gurgel-gehens“. Der Ohrwurm ist nur ein weiteres Beispiel hierfür.

Ich will das aber an dieser Stelle mit Hilfe der Tasse noch etwas deutlicher machen. Blicken wir hierzu noch einmal zurück. Da gibt es den Übergang von der Kanne weg in den Körper eines Trinkenden hinein – und wichtig dabei ist dieser kleine raumschaffende Aufschub.

Übersetzt heißt das: Psychisches hat mit einem „Stoff“ (Stoff im Sinne von etwas Ganzheitlichem und Durchgängigem) zu tun, der im Begriff ist, in etwas anderes überzugehen und auf dem Wege dahin in eine bestimmte, ihn gleichsam aufhaltende Fassung gerät. Das was ihn dabei „aufhält“ ist die Doppelnatur des Seelischen, das weder Klar-ins-Logische- noch ins Mystisch-magische- Hineinpassen der Geschehnisse. Diese paradoxe Natur ist es, welche die Verfassung des Seelischen auszeichnet.

Seelisches tritt uns also immer als etwas Paradoxes entgegen. Kurz: Wenn wir z.B. das eben gehörte Lied einen Ohrwurm sein lassen, obwohl wir ja wissen, daß es sich nicht um einen wirklichen Wurm und um ein reales „im Ohr sitzen“ dabei handeln kann – oder andersherum: wenn wir uns an die handfesten Analogien halten und das eben genannte „Mehr“ trotzdem ausdrücklich MITGELTEN lassen – dann haben wir es mit dem Seelischen zu tun.


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