Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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Psychotherapie in Haupt-, Neben- und Gegenbild

Isolierte statt strukturelle Erfahrung

Nachdem es uns gelungen ist, die Strukturelemente des Funktionierens einer Therapie im Bild eines Märchens zusammenzubringen, können wir uns mithilfe des Bildes auch über die mög-lichen Fehlentwicklungen einer Psy-chotherapie Gedanken machen.

Veränderungen müssen in ihrer rich-tigen strukturellen Einbettung erfahren werden, sonst sind es keine struktu-rellen Neuerfahrungen sondern iso-lierte, die schnell wieder in das Ver-stehensschema einer alten Methode zurückfallen können. Das können wir uns an einem Punkt des Märchens besonders gut klarmachen. Es handelt sich dabei um eine Stelle in dem Mär-chen, die übrigens von vielen Lesern als unangenehm erlebt wird. Es geht darum, dass der Kater den Arbeitern unter Androhung von Gewalt den Auf-trag gibt, dem vorbeifahrenden König zu erzählen, dass die Güter, auf denen sie arbeiten, alle dem Grafen gehören.

Wir haben schon gesehen, was die Strafandrohung im Bild einer positiv verlaufenden Therapie bedeuten kann: Wir können in ihr nämlich die schmer-zende Einsicht eines Klienten oder Patienten sehen, der sich angesichts einer neuen und überraschenden Er-fahrung klar darüber wird, sich selbst um sein Glück „betrogen“ zu haben. Die angedrohte Gewalt des Katers symbolisiert dann diesen Schmerz, der nicht von Außen, sondern gewis-sermaßen von Innen kommt. Die Versuchung des Lebens ist es selbst, die in der Prügelandrohung des Katers ihre Verkörperung findet:

Die Arbeiter sollen ein für alle Male von dem Zauberer lassen und die Seite wechseln, wenn ihnen ihr Leben lieb ist. Beziehen wir das wiederum auf den Klienten in einer Therapie mit sei-ner neuen Veränderungserfahrung, dann heißt das: Er schafft eine Ent-wicklung im Geiste des Neuen nur dann, wenn er den besagten Schmerz tat-sächlich fühlt bzw. wenn er ihn zulässt und ihn auch im Gedächtnis behält.

Sieht eine Therapie dagegen diesen Zusammenhang in einer vergleichba-ren Situation nicht, dann wird aus den Prügeldrohungen des Katers in der Übersetzung auf die Therapie schnell eine verkürzte lerntheoretische Maß-nahme: Mithilfe von Strafen (mit Beloh-nungen wäre es natürlich auch mög-lich) wird eine als vernünftig erkannte Verhaltensrichtung durchzusetzen ge-sucht. Das würde aber nicht dazu füh-ren, dass sich das neu Erfahrene auch in einer strukturellen Weise beim Kli-enten/Patienten „einschreiben“ würde. Die erfahrene Freude und der para-doxe Schmerz müssen sich vielmehr als etwas erfahren lassen, was aus ein und demselben Zusammenhang kommt. Sie dürfen nicht künstlich, wie von einer Vernunftsinstanz her, an den Betreffenden heran- und in die Sache hineingetragen werden.

Das Gegenbild einer Psychotherapie

Überhaupt kann der Kater auch als jemand gesehen werden, der dem Müllersohn die unangenehmen Dinge im Wesentlichen abnimmt und mit allem Möglichen, krumme Dinge dabei nicht auslassend, die Wirklichkeit für seinen Herrn zurechtbiegt und gefügig macht. So wäre er dann auch das genau passende Gegenstück zu einem Müllersohn, der einfach nur „dumm“ herumsitzt und verzagt.

Dieses Bild vom Kater, der seine Handlungen weniger einer Moral als seinen fest vor Augen stehenden Zielen unterordnet, mag auch der Grund dafür sein, dass viele, die das Märchen kennen, es nicht besonders lieben. Es kommen in der Erinnerung bezogen auf den Kater immer sehr gemischte Gefühle auf. Die Stiefel des Katers müssten in dieser Lesart dann ein Symbol für sein militärisches Vorgehen sein und nicht, wie in der von mir beschriebenen Deutung, ein Symbol für den kleinen Luxus, mit dem es eigentlich alle Dinge verdienen, getan zu werden.

Übertragen wir diese Lesart des Ka-terverhaltens nun auf das Problem des Funktionierens einer Psychotherapie. Dann heißt das, dass der Klient oder Patient abgetrennt von dem, was der Therapeut tut, eine unschuldige Haut bleiben kann, weil der Kater bzw. der Therapeut ihm eine echte Ausein-andersetzung mit den Kehrseiten des Lebens erspart und ihm am Ende – mit seinen Tricks und wahrscheinlich auch auf Kosten anderer – in das gemachte Bett hilft. Das wäre so, als hätte der Klient mit seinem Schmollen von An-fang an recht gehabt und als sei ihm für die erlittene Ungerechtigkeit jetzt die verdiente Gerechtigkeit widerfahren. Strukturell sähe eine solche Erfahrung aber nicht besonders gut aus.


Bildquellen

  • Höhle: Karin Fischer