Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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4. Veränderungsspielräume herstellen

Wir nutzen bei diesem Vorgehen be-reits einen Spielraum, der in den ge-lebten Zusammenhängen außerhalb der Therapie nur sehr bedingt vor-handen ist: Wir haben in der Therapie ja nur eine Miniatur der bewegenden Verhältnisse vor uns. Ein großer Teil der ganzen therapeutischen Kunst be-steht in der Umdimensionierung der wirkenden Kräfte, welche in einem lei-dend gewordenen Lebenssystem ihre zwanghafte Macht entwickeln wollen – in ein „gemäßigtes“ Spiel auf der Bühne einer therapeutischen Arbeits-beziehung. Die so genannte analy-tische Abstinenz macht von daher ei-nen Sinn. Der Therapeut versucht, alle zu persönlichen Dinge aus dem Aus-tausch mit dem Klienten heraus-zuhalten, um eine Art künstliche Spal-tung zwischen der tatsächlichen und der bühnenhaft therapeutischen Welt aufrechterhalten zu können.

Die Erzählungen des Klienten, seine Erinnerungen und Einfälle geben Hinweise auf bedeutsame Zusammenhänge. Diese sind aber immer schon zurechtgemacht im Sinne einer gelebten Methode und somit vielleicht auch irreführend. Die kontextübergreifen-den Muster, die sich in dem psychotherapeutischen Geschehen selbst zur Aufführung bringen, haben für den Therapeuten dagegen eine große Un-mittelbarkeit und eine besondere Dichte. Er muss nur immer wieder mithilfe der Erzählungen und Erinnerungen des Klienten prüfen, ob das betref-fende Muster tatsächlich auch schon in anderen Lebenszusammenhängen wirksam geworden ist.

5. Transportabelmachen der neuen Erfahrung

Wenn der Klient oder Patient auf diese Weise zu spüren beginnt, was in sei-nen Entwicklungen an Möglichkeiten eingeschlossen und bisher zu kurz gekommenen ist, erweitert sich sein Sehen. Er bleibt zunächst dabei noch abhängig von dem mithelfenden Psy-chotherapeuten. Denn ohne die be-sondere Art seines Mitspielens bei der Erkundung von Veränderungsspiel-räumen gelänge es ihm nicht. Aus diesem Grunde spielt die Vorbereitung auf ein „Alleinekönnen“ eine wesent-liche Rolle in der Psychotherapie. Der Klient oder Patient muss sich dafür rüsten, auch ohne die Mithilfe des Therapeuten seine neu entdeckten Veränderungsspielräume wahrneh-men zu können. Hierzu hilft es, die neuen Erfahrungen transportabel und gleichsam mitnehmbar zu machen. Ein Schlüsselerlebnis, ein Gleichnis, ein dynamisches Bild, so wie wir es in den Märchen, den Mythen oder Sagen finden, könnte das Medium sein, in welches hinein sich die zentrale Erfahrung des Klienten zum Ende hin verdichtet. Der Psychotherapeut wird mit auf die Suche gehen nach einem solchen vereinheitlichenden Bild. Und wenn das Gleichnis gefunden ist, kann er dem Klienten dabei helfen, das ge-fundene Bild als Übersetzung seiner neuen Erfahrung auch ausreichend zu erproben. Eine geplante Therapie-nachbesprechung, die vielleicht für ein halbes Jahr nach der letzten Stunde vereinbart wird, kann die Bedeutung des Transportieren-Könnens der neu-en Erfahrung unterstreichen, weil dem Klienten auf diese Weise eine Über-prüfung des selbständig gewordenen Umgangs mit dem Bild angeboten wer-den kann.


Bildquellen

  • Höhle: Karin Fischer