Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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Die neue Profession und die Medizin

Das neue Verständnis vom Seelischen begann schnell, sich in Form von ver-schiedenen psychologischen Profes-sionen „institutionell“ umzusetzen, so z.B. in der Gerichtsbegutachtung, in Coaching und Prozessberatung, im Marketing oder auch in der Psycho-therapie. Die Psychotherapie kann hierbei als die prominenteste wis-senschaftspraktische Umsetzung dieser Art angesehen werden. Das, was in einer Psychotherapie wie auch in den anderen psychologischen Pro-fessionen wirkt, ist dieses neue Ver-ständnis und Wissen von den beson-deren Gesetzen und Zusammenhän-gen des Erlebens und Verhaltens – wie man das Psychische oder Seelische heute häufiger nennt.

Mit der Psychotherapie wurde und wird die Psychologie nun auch im Bereich der Krankenversorgung aktiv. Auf die-sem Gebiet herrschen aber die Regeln einer anderen Wissenschaft, nämlich die Regeln der Medizin, welche diesen Bereich schon seit Jahrhunderten ver-sorgt. Die Interessen einer psycho-logischen Profession treffen hier auf die Interessen einer Wissenschaft, die sich in diesem Bereich wie ein Gesetzgeber eingerichtet hat.

Die Psychotherapie muss sich in die-ser Lage auf das Eigene besinnen. Sie muss damit beginnen, sich nach ihrer eigenen „Seele“ zu fragen. Tut sie das nicht, besteht die ernste Gefahr, dass sie entweder die Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Chancen innerhalb der Krankenversorgung versäumt, oder im anderen Falle den Kontakt zum Eigen-en verliert.

Das Eigene verbindet und verpflichtet

Für eine solche Zuwendung zur eigen-en Sache möchte ich werben. Hierzu werde ich im Folgenden eine Modell-beschreibung vorstellen, die aufzeigt, dass die Psychotherapie etwas hat, das ihr Funktionieren schulenüber-greifend kennzeichnet. Dabei geht es um eine Beschreibung, die nicht nur auf gemeinsame Züge oder Wirkungs-dimensionen abhebt, sondern viel-mehr auf inhaltliche Zusammenhänge, die uns wie in einer Konstruktion das Funktionieren nachvollziehbar machen. Ich möchte die Psychotherapie dazu „versuchen“, ernsthaft nach einem strukturellen Modell zu forschen, das das psychotherapeutische Tun bei aller schulischen Verschiedenheit auf ihr gemeinsames Funktionieren hin beschreibt. Mit einer Modellskizze möchte ich den Anstoß geben. Zu-sätzlich werde ich durch das Gleichnis eines Märchens eine Veranschauli-chung zu meinem Entwurf geben, die den strukturellen Zusammenhang von seiner sinnlich-dynamischen Seite her deutlich macht.

Eine Psychotherapie muss sich auch abgrenzen können von Formen, in welchen es um Dinge geht, die we-niger in ihrer eigenen Natur liegen, die aber aus anderen Gründen vielleicht ebenfalls Psychotherapie genannt werden können. „Neben“ der psychologischen Profession existiert auch eine medizinische Fachdisziplin, die sich auf den Namen der Psychotherapie beruft. Sie hat im Laufe der Jahre einige Verfahrensweisen, die der psychologischen Forschung entstam-men, adaptiert und medizin-logisch in das eigene Fach integriert. Beide For-men begegnen sich auf dem Gebiet der Krankenversorgung mit unter-schiedlichen Haltungen dem Krank-sein und dem Heilen gegenüber.

Die Psychotherapie, welche als psychologische Profession im Arbeitsbereich der Krankenversorgung neu ist und nicht, wie die Medizin, eine Jahrhunderte alte Anbindung hat, muss, wenn sie ihr Eigenes in diesem Bereich geben will, ein Interesse daran haben, nicht verwechselt zu werden mit einer Psychotherapie als medizinischer Fachdisziplin. Sie muss sich ihr gegenüber vielmehr wie das Hauptbild zu einem Nebenbild ins Verhältnis setzen. Auf diese besondere Beziehung werde ich an anderer Stelle noch ausführlicher eingehen.

Entwirrung der geltenden Begrifflichkeit

Wegen der verwirrenden Begriffsver-hältnisse, die zurzeit im Bereich der Psychotherapie herrschen, möchte ich noch einmal zusammenfassend klar-stellen: Die Psychotherapie als eine psychologische Profession existiert innerhalb und außerhalb der Kranken-versorgung. Sie ist überall da gefragt, wo Veränderungspielräume aufgesucht und hergestellt werden sollen. Wenn sie innerhalb der Krankenversorgung in Aktion tritt, trifft sie auf einen Mitbewerber, der gleichsam schon vor Ort ist: Sie trifft auf eine Form von Psychotherapie, welche sich als medizinische Fachdisziplin organisiert hat. Von der Sache her unterscheiden sich beide Formen vor allen Dingen durch ihr unterschiedliches Verstehen von Krankheit. Hierzu muss an anderer Stelle ausführlicher eingegangen werden.

Die Berufsbezeichnungen Psychologi-scher Psychotherapeut und Ärztlicher Psychotherapeut, die in Deutschland zuletzt durch das Psychotherapeu-tengesetz mit Blick auf die Kranken-versorgung eingeführt worden sind, unterscheiden die ausgeübte Tätigkeit dagegen überhaupt nicht. Sie erlau-ben lediglich eine Unterscheidung vom beruflichen Werdegang her: Der eine hat nämlich ein medizinisches und der andere ein psychologisches Stu-dium absolviert. Die psychotherapeu-tischen Weiterbildungen, die im An-schluss daran zur Wahl stehen, sind für beide Gruppen gleich.

Was vielmehr in der Sache unter-scheiden hilft, scheint mir die Haltung zu sein, in der ein psychotherapeu-tisch Ausgebildeter arbeitet und zwar innerhalb wie außerhalb der Kranken-versorgung: Geht er mit der Haltung einer psychologischen Profession zu Werke – und das ist dem ärztlichen wie dem psychologischen Psychothera-peuten gleichermaßen möglich – oder arbeitet er mit dem Selbstverständnis einer medizinischen Fachdisziplin? Versteht er seine Arbeit als die vor-übergehende Einrichtung einer Zwi-schenwelt, die sich für den Klienten und eine gemeinsame Erfahrung mit ihm öffnet, oder versteht er seine Ar-beit vor allen Dingen als ein gezieltes und unmittelbares Einwirken auf seinen Patienten (Interventionen, „Inputs“)?


Bildquellen

  • Höhle: Karin Fischer