Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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Worauf besonders zu achten ist
Die Psychotherapie als eine psycho-logische Profession hat auf zwei Dinge ganz besonders zu achten: Zu-nächst einmal muss sie eine Art Zwi-schenwelt mit dem Klienten einrichten. Damit hebt sie sich am stärksten von allen interventionsgeprägten Formen des Helfens ab. Die zwischenwelt-geprägte Charakteristik der Arbeit nimmt den Druck aus den seelischen Verhält-nissen, die im Dienste von Verände-rungserfahrungen auf der therapeutischen Bühne mit „kleinerer Beset-zung“ ihre Aufführung finden sollen. Das stellt eine ganz bestimmte Atmos-phäre in der gemeinsamen Arbeit her, die das Geschehen ganz anders vor-anbringt, als wenn wir uns mit der Ver-antwortung eines Titanen von Inter-vention zu Intervention voranzubrin-gen suchten. Die therapeutische Arbeit muss sich ihrer beziehungsstruk-turellen Wirkungsweise bewusst sein. Ihr Erfolg ruht ganz in den Erfahrun-gen, die in den lebendigen Beziehungs-geschehnissen innerhalb der beschriebenen psychotherapeutischen Zwi-schenwelt stattfinden. Von hier aus machen sich die neuen Erfahrungen auf den Weg, kontextübergreifend zu werden und auch außerhalb der Therapie ihre Wirkung zu tun. In diesem Beziehungsrahmen findet die Veränderung statt und weniger in den einzelnen Eingriffen des Therapeuten und den einzelnen Reaktionen des Klienten.
Der zweite Punkt, auf den eine Psy-chotherapie besonders achten muss, ist der, dass die Erfahrung von Ver-änderungsspielräumen nicht irgend-wie von außen in das Leben des Kli-enten hineinzubringen ist, sondern in den leidverursachenden Mustern des Klienten selbst aufgefunden werden müssen. Der Therapeut muss sich al-so auf die gefährlichen Muster seines Gegenübers weitgehend einlassen können. Wenn jemand in einem Sys-tem gefangen bleiben „will“, so wie es der Müllersohn tut, dann fordert er eine Aufhebung des Störenden und eine Beseitigung der Ungerechtigkeit. Der Müllerbursche glaubt vielleicht, dass er dann, wenn er nur weiträumig ge-nug alles Unpassende in seinem Le-ben umgeht, irgendwann einmal durch lauter Passendes belohnt werde. Er hofft, dass er „irgendwann einmal“ ent-schädigt wird für das, was ihn in der Zeit, in der er sich noch vertrauensvoll hingeben konnte, so hart getroffen hatte. Eine Psychotherapie könnte diesem Wunsch gegenüber leicht ein falsches Versprechen machen und sich wie der abgespaltene, aktive Teil eines Klienten, mit allen „Katerkünsten“ in das System des Betreffenden einspannen lassen.
Beispiel eines Veränderungsspielraums
Wir können uns jetzt fragen, wie eine Situation aussieht, in welcher der The-rapeut nicht einfach nur eingespannt ist in die 1:1 Wiederholung eines ge-lebten Musters seines Klienten. Wel-che Spielräume sind gemeint, wenn es um die Chancen einer Veränderung geht, und wie können sie in der Situ-ation wahrgenommen oder aber auch übersehen und ungünstig behandelt werden? Nehmen wir hierzu noch ein-mal die Situation, in der dem Müllersohn unerwartet ein echtes Interesse von einer Prinzessin entgegengebracht wird. Zum Hintergrund gehört, dass der Müllersohn in dieser Szene einmal ausdrücklich nicht in den Kleidern des Zukurzgekommenen steckt. Er hat ja in diesem Falle vielmehr königliche Kleider an. Nehmen wir das als Beispiel für eine Therapiesituation, und fragen wir uns: Was wird der Klient im Rahmen eines verfestigten Musters geneigt sein zu tun? Und was ist es, was er wahrscheinlich übersieht? Wie kann der Therapeut dabei helfen oder was kann er in einer solchen Situation falsch und auch richtig machen?
Zur ersten Frage: Was ist der Müller-bursche im Sinne eines verfestigen Systems geneigt zu tun? Er wird sich nach einem ersten Verwundern sagen, dass das Aufleuchten in den Augen der Prinzessin nicht ihm, sondern nur seinen schönen Kleidern gegolten habe und dass es ansonsten keinen Grund zur besonderen Freude in die-sem Zusammenhange gibt. Diese Um-deutungsmethode des Klienten setzt normalerweise die folgende Reaktion in Gang: Der normale Mitmensch, den Therapeuten nehme ich zunächst ein-mal aus, wird, soweit er höflich ist, versuchen, die entkräftenden Zweifel des Müllerjungen durch die verschie-densten Beteuerungen zu zerstreuen. Die entsprechenden Beteuerungen werden aber voraussichtlich ihr Ziel verfehlen, denn die Entwicklung er-laubt an dieser Stelle des Märchens noch keinen größeren „Liebesbeweis“ (und noch keine größere Erfolgsmel-dung). Das bemühte Beteuern ehr-licher Bewunderung würde also das Misstrauen nur noch vergrößern. Es wäre nur Wasser auf die Mühlen ei-nes Klienten, der doch davon ausgeht, dass nichts läuft, wenn es nicht ganz genau für ihn passt. Das als unecht erlebte Beteuern des Gegenübers oder sein Flüchten bestätigen ihn nur noch mehr, dass es die Kleider waren, die ihm die besondere Aufmerksamkeit erbracht haben. Er glaubt weiterhin, dass ihn auch in dieser Situation nichts dabei helfen kann, dem Schicksal des „Zukurzgekommenen“ zu entfliehen.
Bildquellen
- Höhle: Karin Fischer