Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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3. Die beziehungsstrukturelle Perspektive
Im Vordergrund einer Psychotherapie sehen wir, wie der Klient und der Therapeut sich auf bestimmte Themen einlassen, über die sie sich, wenn es die Situation erfordert, jederzeit über-einstimmend im Sinne einer Über-schrift z.B. verständigen könnten. Es findet in einer Psychotherapie also zunächst einmal eine vordergründig zu nennende Behandlung irgend-welcher Themen statt. Das gilt sogar für den Fall, dass der Klient aus-schließlich frei assoziiert, denn auch in diesem Falle bilden sich inhaltliche Linien und Themen im oben gesagten Sinne aus. Es findet hierbei aber auch ein beziehungsstrukturelles Gesche-hen statt. Dabei geht es um Vor-gänge, die wir meist erst um einiges später verstehen und thematisch zu-treffend benennen können. Was in dieser Art von Zusammenhängen ge-schieht, entscheidet aber darüber, ob und welche Fortschritte in einer Psy-chotherapie möglich sind und/oder vielleicht gerade gemacht werden.
Das will ich an einem Beispiel erläutern: Inhaltlich könnte es in einer Sitzung z.B. gerade um eine sachliche Aufklärung gehen. Beziehungsstruk-turell kann es zur gleichen Zeit aber um etwas anderes gehen: Vielleicht will der Klient einmal sehen, wie eng oder weit sein Psychotherapeut die Regeln auslegt, die er ihm vorab er-klärt hat. Der Klient führt also eine Art Test mit ihm durch: Kann der Thera-peut auch mal ein Stück von der Linie abweichen, so wie er es von einem souveränen Partner, den er respektieren kann, unbedingt erwartet? Und so legt er es hiermit vielleicht auf eine tröstende und sich einlassende Antwort des Therapeuten an. Wenn der Therapeut das bemerkt, wird er sich fragen müssen, ob er die gewünschte Antwort oder Tröstung in diesem Fall auch einmal gegen die Regeln geben kann. Vielleicht sieht er ja, wie in einem größeren Kontext (beziehungsstrukturell also) der Klient mit diesem Test versucht, ein ernsthafteres Einlassen auf die Therapie vorzubereiten, frei nach dem Motto: Erst testen und dann vertrauen. In diesem Falle wäre das Abweichen des Therapeuten von seiner regulären Reaktionsweise durchaus angebracht. Das Wissen um das Besondere dieser Entscheidung muss und wird sich dabei sicherlich mit zum Ausdruck bringen.
In einer Psychotherapie versuchen wir den gelebten Augenblick freizube-kommen von der Gewalt der sich über-tragenden Muster. Die eigenen Muster versuchen sich durchzusetzen und sind sehr geübt darin. Sie nehmen oft keine große Rücksicht auf das, was von der Sache her vielleicht gerade angebracht ist. Die gemeinsame Arbeit wird in diesem Sinne zu einer ex-perimentellen Bühne. Die Realität auf dieser Bühne folgt der gelebten Wirk-lichkeit des Falles und hat zugleich auch eine experimentierende und vom Therapeuten mitgetragene Form. Was sich in der gemeinsamen Arbeit dabei wie ein Muster wiederholt, ist zunächst einmal nur auf den Kontext des thera-peutischen Geschehens zu beziehen. Denn, ob wir es darüber hinaus auch schon mit einem kontextübergreifen-den und lebensbestimmenden Muster des Klienten zu tun haben, wissen wir noch nicht sofort. Wir können es aber rückwärts erschließen, wenn sich das vermutete Muster mit den Erzäh-lungen, Erinnerungen und den ver-schiedenen Hinweisen aus den freien Einfällen, die sich auf das Vergan-gene aber auch auf das aktuelle Ge-schehen außerhalb der Therapie be-ziehen, stimmig und dicht zur Deckung bringen lässt.
Bildquellen
- Höhle: Karin Fischer