Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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6. Therapieende als Wiederholung und Prüfstein
Das Ende einer Psychotherapie ist von einer ganz besonderen Bedeu-tung für die Weiterwirkung des neu-erworbenen strukturellen „Wissens“. Denn auch Trennungen sind struktu-relle Gleichnisse und folgen dem einen oder anderen Muster. Stellen wir uns vor, ein Klient hat besondere Schwie-rigkeiten damit, am Ende einer Ent-wicklung stark zu werden, und mit ei-nem Erfolg dazustehen. Er glaubt, dass er dafür immer mit einem Ver-lassenwerden bestraft werde. Und darin hat er bisher auch immer Recht bekommen: Er versucht nämlich vor-beugend seinen Erfolg, sobald es auf ein Ende zugeht, herunterzuspielen, und zwar über eine Kritik am Ganzen der betreffenden „Veranstaltung“. Na-türlich fühlen sich die Mitbeteiligten auf diese Weise ebenfalls abgewertet und weil die Kritik außerdem auf einem sehr hohen Niveau stattfindet, kann der Eindruck entstehen, dass dieje-nigen, die sich jetzt von ihm ab-wenden, ihn tatsächlich seiner beson-deren Fähigkeiten und erworbenen Stärke wegen verlassen.
Natürlich wird ein solches Muster ver-suchen, sich auch auf das nahende Ende einer Psychotherapie zu über-tragen. Dazu ist das therapeutische Geschehen auch da: als Bühne für die gelebten Muster. Es kommt jetzt nur darauf an, dass die bereits in der Therapie erfahrenen Veränderungs-spielräume auch mit in den Blick geraten. Der Therapeut wäre in dem geschilderten Falle ganz besonders gefordert, weil in dem Beispiel auch seine therapeutische Leistung durch die Methode des Klienten in eine „Abwertung“ gerät.
Wenn der Klient den Trick des Recht-behaltens in seiner Methode schon verstanden hat, so ist er auch in der Lage, noch einen Schritt weiter zu gehen und zu verstehen, dass es ihm wahrscheinlich um etwas anderes geht, als um die Vorbeugung gegen ein Verlassenwerden. Er will vielleicht das eigene, neue Stärkegefühl nicht wirklich schon auf die Probe stellen und lieber in dem schönen Gefühl ei-nes potentiellen Könnens verbleiben
dürfen. Das Ende einer Therapie will aber auf etwas anderes hinaus. Wenn der Klient zusammen mit seinem The-rapeuten zum Abschluss einer Thera-pie hin diese Wendung sehen kann, so ist ein weiteres Stück Verände-rungsspielraum gewonnen. Vielleicht ist er stolz darauf, diese schwächere Seite an sich sehen zu können – von der seine Methode „so gut“ abgelenkt hat – und fühlt sich jetzt reifer und viel-leicht wirklich ein Stück gewachsen.
Das anstehende Ende einer Therapie bietet also die Möglichkeit zur Ent-faltung eines Problemszenarios mit allen darin enthaltenen Zwängen und Veränderungsspielräumen. Der The-rapeut muss darauf achten, dass die strukturelle neue Erfahrung, die der Klient in der Therapie bereits gemacht hat, in dem Beendigungs-Szenario wiederentdeckt und genutzt werden kann. Keineswegs aber darf an dieser symbolträchtigen Stelle eine Erfah-rung stehen, die das neue Wissen wieder zurücknimmt oder relativiert. Die Art und Weise der Aufhebung der gemeinsamen Zwischenwelt einer Therapie ist in seiner Form und In-haltlichkeit sehr wichtig. Es muss in ihr noch einmal auf das besondere Pro-blem des Klienten eingegangen wer-den. Denn nur so kann der Übergang von der doppelten Welt des Klienten (aus der Alltagswelt und der thera-peutischen Zwischenwelt bestehend) hinüber in die Welt ohne Therapie er-folgreich gelingen.
Ich fasse zusammen: Die Psychothe-rapie ist ein psychologisches Verfah-ren. Im Wesentlichen geht es darum, Veränderungsspielräume herzustel-len und weniger darum, ein funktionie-rendes Ganzes zu entstören. Metho-disch geschieht das in dem bezieh-ungsstrukturellen Rahmen des psy-chotherapeutischen Geschehens und in seinen verschiedensten Akzentset-zungen, weniger über die Wirkung einzelner Interventionen oder über den Transfer eines Mehr- oder Besser-wissens.
Soweit die Psychotherapie als Psychologische Profession auftritt, weist sie ein bestimmtes schulenübergreifendes Funktionieren auf, so wie ich es versucht habe, mithilfe der sechs strukturellen Elemente in meinem Entwurf darzustellen. Im Folgenden möchte ich die genannten strukturellen Überlegungen noch einmal in dem Bild eines Märchens überprüfen und zur Veranschaulichung bringen.
Bildquellen
- Höhle: Karin Fischer