Struktur und Funktionieren von Psychotherapie – Eine psychologische Analyse

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Position 2: Auftrag und dyadischer Beginn
Eine Reihe von Aufgaben übernimmt – jetzt vorübergehend jedenfalls – der Kater oder Therapeut für ihn. Aber, und das ist wichtig, er tut es nur unter der Voraussetzung, dass er auch ei-nen Auftrag hierzu erhält. Kurz: Er bit-tet ihn darum, Stiefel von ihm „spen-diert“ zu bekommen. Der Müllersohn, der sich darauf einlässt, gibt damit symbolisch einen Auftrag, aber einen Auftrag ohne konkrete inhaltliche Auf-gabenstellung. Der Kater verspricht ihm lediglich etwas im Sinne der For-mel: „Es solle ihm schon bald geholfen sein“. Interessant ist bei dieser Stiefel-geschichte, dass die Stiefel offenbar etwas mit der Lust- und Luxus-Seite einer Arbeit zu tun haben und mit ei-nem besonderen Sinn fürs Praktische vielleicht. Auf jeden Fall haben sie nichts mit einer magischen Nütz-lichkeit zu schaffen. Sie drücken viel-mehr aus, dass die lustvolle Seite des Tuns und alles, was nicht allein von der Not und ihren Abwehrmaßnahmen bestimmt ist, als ein wichtiger Anteil im Leben des Müllersohnes fehlt und jetzt durch den Kater vertreten werden soll. Der Müllersohn kann diesem Prin-zip (Überschuss, Luxus) zurzeit nicht mehr dienen (außer symbolisch noch und zwar über die Hergabe des letzten Groschens für die an sich unsinnigen Stiefel), deshalb übernimmt der Kater davon etwas, also von der Seite, die zu einer kompletten seelischen Ent-wicklung aber unbedingt dazugehört.
Solcherart ausgestattet (also mit die-sem ausdrücklichen aber offenen Auf-trag) geht der Kater (Therapeut) nun an sein Werk. Wir können auch sagen, mit der Stiefelübergabe tritt eine Art Zwischenwelt in Kraft. Sie endet in dem Augenblick, indem der Müllersohn seine zukünftige Frau und Prinzessin die Treppe (im Schloss, das ehemals dem Zauberer gehörte) hinaufführt, wo die Hochzeit beschlossen wird und der Kater in das Amt eines ganz normalen Ministers (Berater) wechselt.
Bis dahin geschieht ein vielfältiges Wirken unseres Katers, das mit einer ganz bestimmten Herausforderung in der Inszenierung am See eine wich-tige Wende erhält. Zunächst stellt nur der Kater sich immer wieder der Kehr-seite eines Sich-vertrauensvollen-Ein-lassens; schenkt er dem König doch die von ihm so heiß geliebten Reb-hühner. Der König hätte ja aus Ego-ismus oder Willkür auch anders mit ihm verfahren können: Der Kater er-hält aber etwas zurückgeschenkt für seinen Herrn, dem vermeintlichen Gra-fen (alias Müllersohn), den er auch im-mer als den eigentlichen Spender der geliebten Rebhühner ausgegeben hat.
Der Kater versorgt also den Müller-burschen mit dem Goldsegen des Königs. In diesem Arrangement muss sich nicht der Müllersohn der Gefahr aussetzen, noch mal den Schwarzen Peter zu ziehen, sondern der Kater tut es für ihn. Vieles erinnert an ein so genanntes dyadisches Verhältnis, wie es vorübergehend in den analytischen Langzeittherapien eine besondere Rol-le spielt oder auch im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung. Gleich-zeitig wird von des Katers Seite aus auch noch etwas anderes vorbereitet: Bisher konnte der Müllerbursche schmol-lend und Mitleid erweckend die Hände in den Schoß legen und die anderen machen lassen, sich immer da-rauf berufend, dass er ja der „Zukurz-gekommene“ sei, der mit den schlechten Karten. Aber im Laufe der Aktionen und der vertrauensbildenden Maß-nahmen des Katertherapeuten wer-den die Grundlagen dieses „Sich-Her-ausreden-könnens“ immer mehr ins Wanken gebracht: Nicht nur, dass er, inzwischen mehrfach mit Gold be-schenkt, sich eigentlich schon als reich empfinden könnte. Nein! Wichtiger noch: Die vertrauensbildenden Maß-nahmen des Katers gepaart mit einem kleinen Nachhelfen desselben, führen den Müllersohn schlussendlich in eine Situation, in der ihm die Fluchtmöglich-keit in sein Schmoll- und Meckersys-tem nicht mehr zur Verfügung steht: Ohne Kleider im See feststeckend und kurz darauf in den schönen Ersatzkleidern, die ihm der König bringen lässt, in der Kutsche sitzend, gibt es keine Ausflucht mehr für ihn. Am Ende sieht er sich einem interessierten Blick der Königstochter ausgesetzt, weil ihm für einen Moment das Gewand des Zukurzgekommenen abhanden gekommen ist (der Kater hatte es ihm „abgeschwätzt“ und versteckt). Ein unverstellter Blick auf sich selbst kann stattfinden (entweder von jemand anderem, von der Prinzessin also, oder auch von seiner eigenen Person auf sich).
Bildquellen
- Höhle: Karin Fischer