Von Liebe und Lust

Von Liebe und Lust

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Ist das Ende der Liebe wirklich nur die Folge einer Enttäuschung durch die geliebte Person? Es ist oft eher das Ende der Übertragung eines Bildes auf diese Person, die Zurückziehung des Bildes. Dieser Prozeß der Auf­lösung eines von uns selbst geschaffenen Bildes verbirgt sich oft hinter der Behauptung, der Mensch habe sich geändert. Daneben besteht die Möglichkeit, daß das eine Bild durch ein anderes abgelöst wird und wir die Veränderung nicht bemerken, die in uns und nicht im Objekt stattge­funden hat. Selbstverständlich gibt es genug Fälle, in denen sich die wirk­lichen Menschen als unbefriedigende Objekte erweisen, und es gibt Fälle, in denen sich der Charakter eines Menschen ändert, aber die Frage bleibt, ob das Ende der Liebe nur auf solche Veränderungen im erwähl­ten Objekt zurückgeht. Vielleicht sind in den meisten Fällen Verände­rungen dessen, der wählt, ausschlaggebend.
Liebende fragen sich manchmal, ob die Schuld wirklich bei ihnen liegt, und antworten immer: Nein, die Schuld liegt beim andern. Manchmal ist es besser, sich diese Frage nicht zu stellen, denn dann hört man auch keine Lügen über sich selbst.
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Es besteht die Mög­lichkeit, daß nicht eine merkliche Veränderung im Objekt das Ende der Liebe verursacht, aber es muß eine Veränderung im Subjekt vor sich ge­hen. Das ist eine unerläßliche Voraussetzung für die Entwicklung, die wir als »sich entlieben« bezeichnen. Wir sind daher gezwungen, unsere Aufmerksamkeit noch einmal dem Ich zuzuwenden.
Die Liebe war ein Versuch, die Forderungen unseres Idealichs zu erfül­len. Dieser Drang trat an die Stelle des ursprünglichen Strebens nach Selbstvollendung. Das Versagen der romantischen Liebe, ihr Verblassen, ist weitgehend die Folge davon, daß wir bezüglich der Erfüllung dieser Forderung mit Hilfe eines anderen Menschen frustriert werden. Wenn wir für den Augenblick ausschließen, daß das Liebesobjekt tatsächlich enttäuschend war, müssen wir uns wieder mit der emotionalen Situation des Liebenden befassen. Eine Veränderung in ihm hatte, wie wir uns erinnern, die Liebe möglich gemacht, eine Veränderung, die vom Cha­rakter seines Objekts so gut wie völlig unabhängig war. Das Ich war unzufrieden, weil es seinen selbsterdachten idealen Ansprüchen nicht genügen, weil es nicht über seinen eigenen Schatten springen konnte. Der geliebte Mensch trat an die Stelle dieses Idealichs. Das Objekt muß nun alle Erwartungen, Hoffnungen und Forderungen erfüllen, die das Ich nicht selbst zu befriedigen vermochte. Aber dieses Objekt ist eine eigene Persönlichkeit, nicht nur ein Instrument des Wunschdenkens des Liebenden. Wir lassen hier beiseite, daß der geliebte Mensch seine eige­nen Hoffnungen, inneren Forderungen und Schwächen hat. Der Lie­bende brauchte dringend das Objekt, diesen Ersatz für sein eigenes Ich­ideal. Alle seine Gedanken und Regungen waren darauf gerichtet, diese eine Frau zu bekommen. Warum konzentrieren sich nun alle seine Wün­sche darauf, sie wieder loszuwerden?
Es ist schwer, mit ihr auszukommen. Aber war es nicht auch schwer gewesen, mit sich selbst auszukommen? Er hatte eine schwere Zeit mit ihr durchzustehen. Aber hatte er es zuvor leicht mit sich selbst? Er braucht eine Engelsgeduld, um sich mit ihren Unzulänglichkeiten und Schwächen abzufinden. War er seinen eigenen gegenüber so tolerant? Hier zeigt sich der psychologische Zusammenbruch hoher und wider­sprüchlicher Ich-Forderungen. Sie wurden verschoben und auf die geliebte Person übertragen, und auf diese Übertragung folgt Unzufrie­denheit. Eine Zeitlang schien es, als wäre die Liebe eine Erlösung. Sie versprach und brachte auch eine Aufhebung des Ichs. Der emotionale Konflikt endete, die Unzufriedenheit mit sich selbst verschwand. Doch nun kehrt sie zurück. Sie war nur zusammen mit den eigenen Unvoll­kommenheiten auf das Objekt verlagert worden. Man ist nun zutiefst unzufrieden und innerlich entzweit mit ihr (oder ihm), wie man es vorher mit sich selbst war. Je höher die Ansprüche sind, die man an sich selbst stellt, desto schwieriger wird es für das Objekt, ihnen zu genügen. In Fällen, in denen kein anderes Ventil gefunden wurde als die Liebe, in denen alle Hoffnungen auf diese eine Karte gesetzt wurden, ist die Zunei­gung zum Erlöschen verurteilt, nachdem sie der verwirrten Seele Erlö­sung versprochen hat. Wenn die idealen Forderungen sehr hoch sind und auf das Liebesobjekt konzentriert werden, kann man keine dauerhafte Erfüllung finden. Die vielen Unglücklichen, die so hohe Ambitionen haben und alle ihre Hoffnungen und ihre ganze emotionale Energie auf die Liebe setzen, fangen sich im Netz ihrer eigenen Phantasie. Diese Träume sind zum Verblassen und Verlöschen verurteilt. Nicht nur ist kein Objekt imstande, sie zu verwirklichen: sie können ihrer eigentli­chen Natur nach durch kein äußeres Objekt verwirklicht werden. Die Lösung emotionaler Probleme kann jeder nur in sich selbst finden. Niemand kann sich für immer auf einen Menschen als Ideal konzentrie­ren. Das ist eine vergebliche Jagd nach einem Phantom, das sich nicht fassen läßt. Der Weg führt notwendigerweise von der Liebe zum Ver­zicht und zur Resignation.
Die Midas-Hand der Liebe verwandelte alles in Gold. Die Zurückzie­hung der Liebe macht aus dem Gold wieder Staub. Die Kritik am Objekt ist im weitesten Ausmaß eine auf die andere Person verschobene Selbst­kritik, ein Selbsturteil und eine Selbstverurteilung. Und dieses Urteil wird um so härter und unbarmherziger ausfallen, je höher die an das eigene Ich gestellten Forderungen und Ansprüche waren. Das mag er­staunlich klingen, aber unsere tägliche psychoanalytische Praxis bestä­tigt es.
Das Sich-Entlieben bedeutet daher in Wirklichkeit das Erwachen aus einem Traum, aus dem Tagtraum von einem besseren Ich. Das Liebesob­jekt stellt nicht mehr das Ideal dar. Das heißt, es wird dem Ichideal nicht gerecht, dessen Stelle es einnahm. Der Gegensatz zwischen dem Bild, das man vom Objekt hatte, und seiner wirklichen Persönlichkeit spiegelt nur den Abgrund zwischen dem Ichideal und dem wirklichen Ich wider. Man verabscheut und haßt im Objekt sich selbst, den Teil von sich selbst, von dem man sich befreien wollte, als man sich verliebte. Joseph de Maistres Bemerkung, daß eine Schlacht nur verloren ist, weil man sie für verloren hält, läßt sich gut auf die Liebe und ihre Folgen anwenden. Man muß allerdings hinzufügen, daß auf diese Weise auch Schlachten gewonnen werden. (Anatole France versicherte, Marschall Joffre habe erst aus den Zeitungen erfahren, daß er die Marneschlacht im Ersten Weltkrieg ge­wonnen hatte.) Der Sieg wie die Niederlage in der Liebe hängt ganz von uns selbst ab.


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