Von Liebe und Lust

Von Liebe und Lust

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Die Unterschiede sind keine Verschiedenheiten im wesentlichen Charak­ter der Liebe, sondern sie zeigen sich in den Proportionen der zugrunde liegenden Emotionen. Bewunderung und Neid, Feindseligkeit und Be­sitzgier findet man bei jungen wie bei alten Menschen, aber sie unter­scheiden sich in ihrer Intensität und in der Stärke der Reaktionen, die sie auslösen. Alte Menschen erreichen oft eine Tiefe der Zuneigung, in der auch die deutlich erkannten Schwächen und Unzulänglichkeiten des an­deren zärtlich beobachtet und geliebt werden. Wir alle müssen Lehrgeld zahlen, wenn wir lieben, aber später im Leben erkennen wir vielleicht besser, wie schwierig es ist. Die Jugend, die so viel Zeit hat, ist ungedul­dig. Wenn man älter wird und reif genug ist, um geduldig zu sein, steht einem nicht mehr so viel Zeit zur Verfügung.

Was hier kurz geschildert wurde, ist nicht das unvermeidliche Ende der Liebe, es ist nur das Ende der Romanze. Es gibt Verwandlungen der leidenschaftlichen Liebe, die in dieser Beschreibung nicht berücksichtigt wurden. Auf die Liebe muß nicht dieses Ende folgen: Es kann ein Nach­glühen geben. Die Entwicklung muß nicht den ganzen Weg zurückge­hen. Eine neue Art von Gemeinsamkeit, die keine Romanze, aber ebenso wertvoll ist, kann in Form von innerer Ruhe und Harmonie entstehen. Obwohl die Idealisierung und die Leidenschaft vorüber sind, ist die At­mosphäre klar und heiter. Aus dem Liebhaber ist ein Freund geworden. An die Stelle der stürmischen Liebe ist der Frieden einer zärtlichen Zu­neigung getreten. Der Nachsommer der Liebe ist sanft und mild. Es gibt eine gegenseitige Identifikation und gemeinsame Erlebnisse, Freuden und Kümmernisse, die zwei Menschen enger verbinden, als es die ro­mantische Liebe je vermochte. Ja sogar über den Abgrund der Feindse­ligkeit gibt es manchmal eine schmale Brücke zu einer neuen Beziehung. Der schlimmste Feind der Liebe ist nicht die Feindseligkeit, sondern die Gleichgültigkeit, die einer gegenüber dem andern empfindet. Wenn Schweigen und Gleichgültigkeit in das Leben eines Liebespaares getreten sind und die beiden sich fragen, wo die Liebe geblieben ist, gleicht ihre Lage der eines Mannes, der sein Geld in einen Safe gelegt und die Kombi­nation des Schlosses vergessen hat.

Der Frühling mit seinen Wundern kann nicht ewig dauern. Eine Ro­manze ist nicht dasselbe wie Liebe. Zuneigung und Zärtlichkeit können ohne Romantik existieren und wirken. Die Liebe kann die Leidenschaft überdauern. Sie braucht nicht zu sterben. Sie kann am Leben bleiben, aber nur, wenn sie ihr Wesen ändert oder vielmehr, wenn sie ihr wirk­liches Wesen gewinnt. Es ist nicht nötig, den geliebten Menschen zu idealisieren. Es ist nicht nötig, ihn auf ein Piedestal zu stellen. Die Ro­mantik kann und wird vergehen, aber etwas anderes kann bleiben. Un­längst sah ich in einer Illustrierten ein kleines Bild von vielen Liebes­paaren an einem Strand. Zwei Mädchen saßen für sich allein abseits von den anderen, und die eine sagte nachdenklich zu ihrer Freundin: »Meiner Erfahrung nach ist es wichtiger als Liebe, daß du den Burschen wirklich magst.« Das klingt komisch, ist aber voll von einer Weisheit, die nicht aus dem Hirn, sondern aus dem Herzen kommt.


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