Von Liebe und Lust

Von Liebe und Lust

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Aber ist nicht der Neid eine bösartige Emotion und die Liebe eine sehr gutartige? Zweifellos. Ich habe auch nicht behauptet, daß Neid ein be­wußtes Element der Liebe sei, sondern nur, daß er einer der wichtigsten Faktoren ist, die notwendigerweise der Entstehung der Liebe vorausge­hen. Eine Rose wächst aus einem Boden hervor, der mit übelriechendem Mist gedüngt wurde. Duftet sie darum weniger süß? Es ist freilich er­staunlich und überraschend, und es mag für viele unglaublich klingen, daß unsere erste emotionale Annäherung an einen Menschen, den wir lieben werden, eine Art von Neid oder Eifersucht ist. Aber vergessen wir nicht, daß dieses Gefühl völlig unbewußt ist. Und vergessen wir nicht, daß die Liebe, sobald sie einmal geweckt wurde, diese flüchtigen Emo­tionen des Neides überwindet. Ja gerade ihre Abwesenheit ist dann das wichtigste Merkmal der Liebe. Die Neigung, Besitz zu ergreifen, exi­stiert nicht mehr. In der Liebe gibt es keinen Unterschied zwischen Mein und Dein. Neid ist gerade die Emotion, die dem Geist der Liebe völlig fremd und fern ist. Aber das ist bereits eine Errungenschaft der Zuneigung, und so weit sind wir noch nicht. Wir haben es hier noch mit den unbewußten Motiven zu tun, die der zu diesem Ziel führenden psychi­schen Entwicklung zugrunde liegen.
Aber warum wählen wir überhaupt das Wort Neid und sagen nicht lieber Nacheiferung? Wenn es nur um Worte ginge, hätte ich gegen den Ausdruck Nacheiferung anstatt Neid nichts einzuwenden. Aber es geht um mehr. Nacheiferung hat andere Bedeutungsinhalte als Neid. Der Aus­druck deutet nicht auf das Bewußtsein hin, dem anderen unterlegen zu sein, und ebensowenig besagt er, daß der andere etwas hat, was einem fehlt und was man begehrt. Er bedeutet nicht, daß einem der andere etwas voraus hat, was irritiert. Es ist richtig, daß er einen viel freund­licheren Klang als Neid hat, aber es ist nicht richtig, daß dieser freund­lichere Klang hier auch angebracht ist. Selbst wenn wir einräumen könn­ten, daß die Emotion der anfänglichen psychischen Spannung zunächst als eine Art von Nacheiferung beginnt, müßten wir hinzufügen, daß sie rasch in Neid ausartet, da es keine Möglichkeit gibt, mit einem Menschen zu wetteifern, den man als sehr überlegen betrachtet. Das Liebesobjekt fordert unbewußt zum Wettbewerb heraus und entmutigt ihn zur glei­chen Zeit.
Zwischen der zukünftigen Liebe und dem Objekt besteht ein Gegensatz, der noch nicht erwähnt wurde und höchst verwirrender und provozie­render Natur ist. Während der Bewunderer unzufrieden mit sich selbst, voller Dissonanzen und innerlich hin und her gerissen ist, erscheint ihm das Objekt kühl, beherrscht und zurückhaltend. Die Anziehungskraft eines solchen Menschen, der seinen Schwerpunkt in sich selbst hat, wird vom anderen mit seinem geschwächten Selbstvertrauen sehr stark emp­funden. Der Eindruck der Selbstgenügsamkeit ist nicht der geringste der Faktoren, die Neid wecken. Die Gelassenheit und Gemütsruhe, die of­fenbare Unerschütterlichkeit des Objekts haben eine irritierende Wir­kung. Sie erscheinen als das genaue Gegenteil der eigenen Verfassung. Die Gleichgültigkeit und Zurückhaltung einer Frau, ihre Beherrschtheit und Unabhängigkeit, ihre Ruhe und Sicherheit wirken auf einen Mann als Herausforderung. Etwas an ihrer bloßen Existenz und Gleichgültig­keit scheint uns den Zwiespalt in uns selbst noch deutlicher bewußt zu machen. Daß sie so ruhig und nicht aus der Fassung zu bringen ist, scheint uns zu erregen und zu verwirren, es verärgert uns ein wenig, ja beinahe beleidigt es uns, und das ist eine ausgezeichnete Mischung, um die Liebe vorzubereiten. Zwischen Anziehung und Flucht, zwischen dem Wunsch, sie zu bekommen, und dem Wunsch, sie loszuwerden, wächst das Gefühl der eigenen Unvollständigkeit und Ruhelosigkeit. Die Herausforderung wirkt unbewußt. Die Frau scheint etwas Unergründli­ches an sich zu haben, das den Wunsch weckt, sie besser kennenzuler­nen. Sie scheint so kühl und gelassen zu sein, so distanziert, so gleichgül­tig in bezug auf den Eindruck, den sie auf uns macht. Ihre Distanziertheit wird unerträglich ärgerlich und verlockend zugleich. Sie quält und reizt uns, weil sie nicht die gleiche Sehnsucht empfindet wie wir. Wir möchten soviel Gleichmut haben wie sie. Wir begehren ihn und seine Besitzerin. Es ist ein Wunsch, diese Frau zu ergreifen, eine Gier, eine Art von Gefräßigkeit in unserem Neid. Diese Tendenzen arbeiten unbewußt an der Vorbereitung der Liebe, ähnlich wie Enzyme, diese Katalysatoren, ohne die Leben unmöglich wäre. Ihr Vorhandensein ist eine notwendige Be­dingung für das Sichverlieben.
Wir sehen nun deutlicher die Verbindungsfäden, die Beweise für die Be­hauptung, daß uns die verborgene Unzufriedenheit mit uns selbst be­sonders empfindlich und geneigt macht, Neid oder Eifersucht zu füh­len, wenn wir jemandem begegnen, der die uns fehlenden Eigenschaften besitzt und so zufrieden und beherrscht zu sein scheint. Dieses Objekt ist noch kein Ersatz für das Ichideal, aber es kann später einer werden, wenn Liebe an die Stelle des Neides und der mißgünstigen Bewunde­rung tritt. Die Beziehung zum beneideten Objekt läßt sich am ehesten mit der vergleichen, die wir in unserer Jugend zu Personen hatten, die wir als Ichmodelle betrachteten. Erinnern wir uns, daß diese Ichmo­delle manchmal wirklich unsere Liebesobjekte wurden, sofern sie sich nicht in Gegenstände unseres Hasses verwandelten. Wir erkennen hier, daß unsere psychische Annäherung an das zukünftige Liebesobjekt einer Rückkehr, einer Regression zu den Gefühlen gleichkommt, die wir als Kinder für unsere Ichmodelle hegten. Schon damals war die Na­tur dieser Gefühle nicht so einfach, wie es den Anschein hatte. Schon damals ging Neid unserer Zuneigung voraus. Jetzt erkennen wir, daß wir auf einem schon ausgetretenen Pfad gehen. Vergessen wir nicht, daß auch damals unsere Unzufriedenheit auf den Vergleich der eigenen Per­son mit anderen zurückging. Warum sind wir nicht ebenso schön, klug, selbstsicher und beliebt? Oder um es in Form eines Wunsches auszu­drücken: Wären wir doch ebenso begabt, schön, tapfer und begün­stigt!
Wir stellen ohne Erstaunen fest, daß Neid und Eifersucht starke Emotio­nen sind. Was uns erstaunt, ist, daß sie sich als geheime Vorläufer der Liebe entpuppen. Es überrascht uns, daß Neid und eine bestimmte Art von Bewunderung nur zwei Seiten desselben psychischen Phänomens sind, wobei der Neid die Kehrseite darstellt. Wir sind erstaunt, weil uns seine Existenz und Wirkung in diesem Zusammenhang nicht bewußt war. Wenn aber der Neid eines der nötigen vorbereitenden Elemente für die Liebe ist, wäre es dann nicht richtig, daraus zu folgern, daß Men­schen, die nicht imstande sind, andere zu beneiden, auch nicht lieben können? Allerdings. Wir kommen auf diese seltsamen Fälle noch zu sprechen.


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